Eine Bewegung kämpft gegen die Tabuisierung der Periode
Schwester, du blutest!

Es ist das Natürlichste überhaupt, und trotzdem schämen sich Frauen dafür. Eine Bewegung kämpft gegen die Tabuisierung der Periode. Doch der Kampf ist hart – insbesondere in armen Ländern.
Publiziert: 25.02.2018 um 09:49 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2020 um 14:38 Uhr
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Aline Wüst

Frauen bluten. Etwa 2400 Tage in ihrem Leben. Sie tun das heimlich. Monat für Monat. Wir erinnern uns: an das Mädchen im Turnunterricht mit dem roten Fleck auf der Trainerhose. Auch wenn das 20 Jahre her ist. Hat sie es vergessen? Wohl nicht. Sie war beschämt. Menstruation ist der missglückte Versuch eines weiblichen Körpers, neues Leben hervorzubringen. Zu bluten ist wichtig. Scham aber ist das Gefühl, etwas Unanständiges getan zu haben.

Durchs Büro schreien: «Hat jemand einen Tampon?»

Anne-Sophie Keller steht für das Gegenteil von Menstruations-Scham. Die 28-jährige Berner Feministin sitzt in einer leeren Mensa, isst Salzstängeli, fragt: «Weisst du, was ich gern mache? Durchs Büro schreien: Hat jemand einen Tampon?» Keller ist Teil des neuen, -jungen Feminismus. Sie ärgert sich, dass der blutende weibliche Körper als etwas Schmutziges dargestellt wird, dass wir flüstern, wenn wir eine Kollegin nach einem Tampon fragen. Sie erzählt, dass ihre Menstruation pünktlich ist wie die SBB – am Dienstagabend kommt, am Freitagabend geht. Sie nutzt ein Menstruationstässchen, ein glitzerndes. Seither habe sie ihre Tage lieber. Sie mag es, im Tram zu sitzen und zu denken: In meiner Vagina funkelt es. Amüsiert sich darüber, dass dadurch die Worte «Von innen heraus zu strahlen» eine ganz neue Bedeutung bekommen.

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Was da drinnen bei Frauen genau passiert, war der Menschheit lange ein Rätsel. Zu erklären versuchten es einige gescheite Männer trotzdem. Die Schlüsse, die sie daraus -zogen, sind teils lustig und teils Mitverantwortlich für ziemlich viel Leid – bis heute. So glaubte Pythagoras zu wissen, dass Frauen zu viel Blut hätten, weil sie zu viele Nährstoffe zu sich nähmen. Ein Römer namens Plinius der Ältere kam auf die Idee, dass die Frau blutet, wenn sie nicht schwanger ist. Was ja stimmt. Bloss sagte er auch, dass das ausgeschiedene Blut unrein sei. Der Schweizer Arzt Paracelsus doppelte 1500 Jahre später nach: Menstruationsblut sei ein Unflat, dem kein Gift auf Erden gleichen mag, schädlicher als alles andere. Grund sogar für Pest und Cholera. Eine menstruierende Frau bringe Unglück. Sie verderbe alles, was sie anfasse – Wein, Essig, Milch, Brot.

Immer mehr Frauen kämpfen gegen die Scham für den weiblichen Zyklus – und verbreiten Stolz auf ihre Menstruation.
Foto: Thomas Meier

Das wirkt nach, noch heute. Um die Mythen zu widerlegen, braucht es kein Medizinstudium. Bloss Mädchen wie die 13-jährige Inderin Dhanashree Kantaram Dhere. In der Schule lernte sie dank Unicef, dass sie nicht unrein ist, wenn sie menstruiert. Zu Hause liess ihre Mutter sie aus Angst vor Unglück trotzdem nicht beim Brotbacken helfen, wenn sie ihre Periode hatte. Dhanashree berührte das Brot darum heimlich, hatte Angst danach. Und merkte: Es passiert nichts! Mutig fasste sie während ihrer nächsten Menstruation auch die Figur -einer indischen Gottheit an. Und wieder passierte nichts.

Jede fünfte Frau leidet an starken Regelschmerzen

Die O.B.-Werbung der 90er-Jahre zeigte uns eine Frau an einem Schreibtisch, die sich einen Tampon in die Hand schiebt und sagt: «Ein O.B. bleibt nicht aussen vor wie eine Binde, sondern nimmt die Regel ganz natürlich da auf, wo sie passiert: im Innern des Körpers. Man sieht nichts, man riecht nichts, und aussen bleibt alles angenehm sauber.» Blut kommt nicht vor. Und will ein Bindenhersteller heutzutage beweisen, wie saugkräftig sein Produkt ist, nimmt er dazu eine blaue Flüssigkeit.

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Seit wenigen Jahren gibt es eine feministische Bewegung, die gegen die Tabuisierung der Periode kämpft. Sie scheuen sich nicht, Blut sichtbar zu machen. Das Zürcher Kollektiv Aktivistin.ch rund um Anne-Sophie Keller färbte dafür einmal die Stadtzürcher Brunnen mit roter Lebensmittelfarbe ein. Die Künstlerin Sarah Levy malte ein Bild von Trump mit ihrem Menstruationsblut – «Bloody Trump» nannte sie es. Auslöser dafür war seine Aussage über eine Journalistin, die ihm kritische Fragen stellte. Er sagte, sie habe ihn doch bloss so attackiert, weil sie ihre Tage habe.

Die Künstlerin Sarah Levy malte ein Bild von Trump mit ihrem Menstruationsblut – «Bloody Trump» nannte sie es.
Foto: zvg

Zum Tabubruch trägt eine internationale Studie aus der Schweiz bei. Sie bewies, dass die Menstruation keinerlei Einfluss auf die mentalen Fähigkeiten einer Frau hat. Was nicht heisst, dass es nicht wehtut. Laut Cornelia Betschart, Gynäkologin am Unispital Zürich, leidet jede fünfte Frau trotz Schmerzmitteln unter starken Regelbeschwerden. Grundsätzlich aber haben die Frauen weniger Schmerzen, seit es die Antibabypille gibt. Da die hormonelle Verhütung, die den natürlichen Zyklus verhindert, auch die Menstruation schwächer macht.

Während sich viele westliche Frauen eine möglichst schwache oder gar keine Blutung wünschen – auch das ist mit hormoneller Verhütung möglich und nach aktuellem Wissensstand nicht schädlich –, sind beispielsweise Frauen aus afrikanischen Ländern beunruhigt, wenn ihre Regel schwächer ausfällt. Eine starke Menstruation sei dort ein Zeichen für Fruchtbarkeit und das Frausein im Allgemeinen, sagt Betschart.

Global betrachtet beschäftigt die meisten Frauen allerdings nicht das Ziehen im Bauch, während sie bluten, sondern die Frage: Woher nehme ich das Geld für eine Binde? In Uganda beispielsweise sind in einer Packung sieben Binden. Das reicht knapp für eine Menstruation und ist in der günstigsten Ausführung für 65 Rappen zu haben. Gleich viel kostet ein Kilo Bohnen, Hauptbestandteil der täglichen Mahlzeit. 54 Franken wiederum ist das durchschnittliche monatliche Einkommen pro Kopf. Bluten tut man, essen muss man. Statt Binden kommen deshalb Fetzen alter Kleidung, manchmal gar Sand in die Unterhose.

Aus Scham gehen die Mädchen nicht in die Schule

Ende Januar, mitten im Nirgendwo in Uganda, erzählt ein Mädchen: «Meine Mutter gibt mir ein Stück Stoff, wenn ich menstruiere. Aber es ist nicht gut, es hält nicht. Wenn ich in die Schule gehe, kann ich mich nicht konzentrieren. Ich habe immer Angst, dass es rausfliesst. Darum bleibe ich zu Hause.»

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Aus Scham gehen die Mädchen also nicht in die Schule. In Nepal und Afghanistan bleiben 30 Prozent der Mädchen zu Hause, wenn sie ihre Tage haben. In Indien verlässt jedes fünfte Mädchen die Schule nach Einsetzen seiner ersten Menstruation. Das dürfte in vielen Ländern der Welt nicht anders sein. Studien aber zeigen: Je länger ein Mädchen die Schule besucht, desto später wird es heiraten und desto weniger Kinder wird es einmal haben. Und je länger es in der Schule bleibt, desto kleiner ist das Risiko, später einmal Opfer von häuslicher Gewalt zu werden.

Millionen mit schlechteren Chancen – wegen der Periode

Kommt weiter hinzu, dass sich ein zusätzliches Jahr Primarschule in einem zehn bis 20 Prozent -höheren Lohn niederschlägt. Ein Jahr mehr Oberstufe bewirkt 15 bis 25 Prozent mehr Geld. Das heisst also, dass Millionen von Mädchen schlechtere Chancen haben im Leben, einzig und allein aus dem Grund, dass sie menstruieren. Dabei ist Bluten «die natürlichste Sache der Welt», wie Gynäkologin Betschart sagt.

Die ugandische Feministin Stella Nyanzie verteilte über eine Million Binden an Schulen.
Foto: zvg

Aber nicht nur in der westlichen Welt tut sich etwas. Auch in den Ländern des Südens wird gekämpft. Teils mit harten Bandagen. Die ugandische Feministin Stella Nyanzie hat das erlebt. Im vergangenen Jahr hat sie über eine Million Binden an Schulen verteilt. Binden notabene, die der Diktator Museveni schon während seines Wahlkampfs den Schülerinnen versprochen hatte. Eine Lüge für ein paar weibliche Wählerstimmen mehr, wie sich später herausstellte. Nyanzie war wütend und schoss scharf gegen den Präsidenten. Über einen Monat war sie deswegen im Gefängnis.

In Indien hat ein Mann namens Arunachalam Muruganantham viel geleistet für die Frau. Frisch verheiratet, merkte er, wie seine Angetraute sich dreckige Lumpen in die Unterhose stopfte, weil sie sich keine Binden leisten konnte. Nach einem Blick in die Haushaltskasse war die Frage: Milch oder Binden? Muruganantham nahm das nicht einfach so hin. Wollte eine günstige Binde erfinden. Und tat das auch.

Der Siegeszug der Menstruationstasse

Die Geschichte des «Menstruations-Mannes» wurde von Bollywood verfilmt und war ein Kassenschlager. Und das in einem Land, wo Frauen noch immer als unrein gelten, wenn sie menstruieren. Im Nachbarland Pakistan wurde der Film letzte Woche von der Zensurbehörde verboten, weil er «gegen unsere Traditionen und Kultur verstösst», wie es hiess. Der Aufschrei in den sozialen Medien war gross. Die Frauen fragten: «Was genau verstösst gegen unsere Tradition? Menstruierende Frauen? Binden? Oder etwa die Tatsache, dass darüber ohne Scham geredet wird?»

Ein neueres Produkt als die Binde aber hat das Zeug, das Leben von vielen Mädchen auf der Welt zu verbessern: die Menstruationstasse, über die sich die Berner Feministin Anne-Sophie Keller freut, wenn sie im Tram sitzt. Denn das Tässchen, das zusammengefaltet in die Vagina eingeführt wird, dort Blut auffängt, dann rausgezogen, ausgewaschen und wiederverwendet werden kann, hat sich in der westlichen Welt vom feministischen Produkt langsam seinen Weg in immer mehr menstruierenden Frauen gesucht. Es ist in armen Ländern die kostengünstigste Möglichkeit, Mädchen in der Schule zu behalten.

Die kenianische Frauenrechtlerin Golda Ayodo, die solche Tässchen an Schülerinnen verteilt, schreibt auf Anfrage zurück: «Das Tässchen hat bereits jetzt das Leben von so vielen Mädchen verändert.» Weil es zehn Jahre verwendet werden kann, wenig kostet, Freiheit bietet und erst noch ohne Unterhose getragen werden kann – auch das haben die meisten Mädchen nicht.

Der Weg ist noch lang. Aber irgendwann heisst es vielleicht überall auf der Welt: «Schwester, du blutest! – Na und?!»

Geschichte des Feminismus mit Infografik

Der 8. März ist Weltfrauentag. Die ersten Frauentage vor über 100 Jahren waren links-revolutionäre Kampftage für Gleichberechtigung und Frauenwahlrecht. Heute gehen Frauen auf die Strasse gegen häusliche Gewalt, Ungerechtigkeiten bei Lohn oder Pensionen, den Umstand, dass meist sie die unbezahlte Arbeit in Haushalt und Familie leisten, aber auch, um für flexiblere Lebensmodelle zu werben. Hier die wichtigsten Meilensteine der Frauenbewegung.

Auch 25 Jahre nach dem Frauenstreik werden hierzulande Frauen immer noch beim Lohn diskriminiert. (Archivbild)
Auch 25 Jahre nach dem Frauenstreik werden hierzulande Frauen immer noch beim Lohn diskriminiert. (Archivbild)
Keystone/STR

Der 8. März ist Weltfrauentag. Die ersten Frauentage vor über 100 Jahren waren links-revolutionäre Kampftage für Gleichberechtigung und Frauenwahlrecht. Heute gehen Frauen auf die Strasse gegen häusliche Gewalt, Ungerechtigkeiten bei Lohn oder Pensionen, den Umstand, dass meist sie die unbezahlte Arbeit in Haushalt und Familie leisten, aber auch, um für flexiblere Lebensmodelle zu werben. Hier die wichtigsten Meilensteine der Frauenbewegung.

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