Feiern in Zürich in Zeiten der #MeToo-Debatte
«Frauen, die sich nicht wehren können, sind nicht reif für den Ausgang»

Die #MeToo-Bewegung sorgt für Wirbel und Verunsicherung. Wie gehen Frauen mit penetranten Baggerern um und was sagen die Männer zum Sexismus-Vorwurf? BLICK hat sich das Zürcher Nachtleben angeschaut und mit Partygängern gesprochen.
Publiziert: 15.01.2018 um 10:25 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 14:04 Uhr
Anastasia Mamonova, Julien Duc

Es ist Freitagabend. Junge, gut aussehende Frauen stürzen sich ins Nachtleben. Sie trinken, sie tanzen, sie unterhalten sich mit ihren Freunden. Und das heute? In Zeiten einer heftigen Debatte über sexuelle Übergriffe? Wie viel Anspannung ist da unter der Oberfläche, die vorher nicht da war?

«Ich glaube nicht, dass sich seit #MeToo etwas verändert hat. Die Situation ist seit Jahren die gleiche, und sie ist nicht speziell dramatisch», erzählt die 28-jährige Dilan BLICK. «Nach zehn Jahren Ausgang gewöhnt man sich daran, dass man angebaggert und begrapscht wird.»

Me too. Ich auch. Tatsächlich, auch die Zürcherin weiss von unangenehmen Erlebnissen mit Männern zu berichten. Vor ein paar Jahren ging sie spätnachts unauffällig gekleidet aus einem Club an der Langstrasse, als eine Horde Männer an ihr vorbeiging. «Einer von ihnen klatschte mir aus dem Nichts mitten auf den Hintern. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Ich wurde wütend. Keiner hat es für nötig gehalten, das Schwein masszuregeln, geschweige denn sich bei mir zu entschuldigen. Alle lachten nur. Normalerweise hätte ich ihn verbal zusammengestaucht. Aber ich liess es sein. Weil ich alleine war und sie etwa zu zehnt.» 

Mascotte: «Es gibt nicht Schlimmeres als penetrante Typen, die nicht aufgeben.» Eileen (28)
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«Es braucht mehr Zivilcourage»

Ja, körperliche Belästigungen kommen vor. In der Regel in Clubs mit vielen Menschen, wo man in der Masse untergeht. «Es geschieht immer dann, wenn du dich durch die Meute kämpfst. Dann hast du auf einmal eine Hand am Hintern oder an den Brüsten», sagt Dilan.

Das bestätigt Cedric (24): «Es ist vom Ort und Publikum abhängig. In Szeneclubs ist man unter sich, dort passiert es seltener. In grossen 08/15-Clubs mit kommerzieller Hitparaden-Musik kommt es öfter zu Belästigungen und Begrapschen. Ich kenne viele Typen, die immer nur eins im Sinn haben: eine abzuschleppen.»

Andrea (28), Dilans Freundin, kennt das auch. Immerhin: «Es ist schon Monate her, dass mir jemand das letzte Mal an den Hintern, die Brüste oder zwischen die Beine gefasst hat. Klar finde ich das nicht lustig. Aber je nach dem, in welche Clubs du gehst, passiert es eben.» Die beiden Frauen sind sich einig: Man muss den Typen sagen, wenn etwas nicht in Ordnung ist. «Frauen, die sich nicht wehren können, sind nicht reif für den Ausgang», sagt Andrea. Wenn sie jedoch merkt, dass jemand in Not ist, würde sie sofort einschreiten. «Es braucht keine weiteren Gesetze oder Regeln, sondern Zivilcourage.»

«Männer müssen ihre Triebe in den Griff kriegen»

Doch wer sind die Männer, die den Frauen ungefragt an den Hintern fassen oder sie mit penetranten Anmachsprüchen belästigen? «Entweder Machos, die ihre Unsicherheit kaschieren wollen, oder junge Kerle, die sich vor ihren Freunden beweisen wollen. Meistens verhalten sich Männer nur in einer Gruppe so daneben», sagt Faton (29). Seinen Kollegen Ari (28) macht das sauer: «Solche Typen werfen ein schlechtes Licht auf alle Männer.» Aber auch er macht sich seine Gedanken: «Seit der #MeToo-Debatte muss ich mir zweimal überlegen, wie ich was sage, damit es nicht falsch verstanden wird.»

Die Diskussion sei aber berechtigt, meint Faton. «Männer müssen ihre Triebe besser in den Griff kriegen und ihr Verhalten reflektieren.» Meist werde es mit dem Alter besser, glauben die beiden: «Mit 20 baggert man wild drauflos, weil das als cool gilt. Jetzt wäre das voll peinlich. Man wechselt irgendwann von Quantität zur Qualität.»

Junge Mädchen trauen sich nicht, Nein zu sagen

Aris Kollegin Eileen (28) stellt eine Trendwende fest. «Immer mehr Frauen trauen sich, klipp und klar Nein zu sagen. Und ich finde es super, dass es mit ‹Fuckboy› endlich ein männliches Pendant für das Wort Schlampe gibt.» Eins fehlt ihr trotzdem: «Die Männer müssen Feministen werden», sagt sie. Es sei nie in Ordnung, im Club angefasst zu werden oder sich respektlose Sprüche anhören zu müssen.

Die vierte im Bunde – Sabrina (23) – teilt Eileens Meinung nur bedingt: «Natürlich darf eine Frau so rumlaufen, wie sie will. Aber trotzdem weiss man, was passieren kann. Du kannst dann entweder zusätzlich provozieren oder eben vorbeugen.» Schwierig sei das ihrer Meinung nach vor allem für junge, ausgangsunerfahrene Mädchen. «Sie kennen nicht das Mass bei Alkohol, ziehen sich reizvoll an und können sich nicht wehren.»

Ansprechen Ja – Anfassen Nein

Am heftigsten werde oft das Service-Personal belästigt, wie Sabrina selbst weiss von ihrer Arbeit in einem noblen Restaurant. «Ein älterer Herr konsumierte für 8000 Franken. Als es ums Bezahlen ging, näherte er sich mir betrunken, bedrängte mich, fasste mich an und küsste mir den Hals. Ich wusste für einen Moment nicht, was tun. Nach einer gefühlten Ewigkeit fiel es dem Manager auf, der mir dann zur Hilfe eilte.» Der Gast habe sich bei seinem nächsten Besuch bei Sabrina entschuldigt: «Weisst du Mädchen, ich war halt betrunken.» Und ihr mehrere Hundert Franken Trinkgeld gegeben.

Sollen sich die Männer komplett zurückhalten? «Nein, sie dürfen uns gerne ansprechen», sagt Eileen zum BLICK-Reporter. «Aber es soll natürlich rüberkommen, und Anfassen ist tabu.» Sabrina ergänzt: «Wenn sie kein Interesse hat und das deutlich zu verstehen gibt, soll er den Annäherungsversuch sein lassen.» Eileen pflichtet bei: «Es gibts nichts Schlimmeres als penetrante Typen, die nicht aufgeben.» Ali und Faton nicken zustimmend.

«Mir gefällt, wenn ein Typ mir seine Aufmerksamkeit schenkt»

Auch Kristina (22) hält nichts von aufdringlichen Verehrern. Aber sie möchte das Flirten nicht missen. Sie sitzt mit ihrer Freundin in einer Bar an der Langstrasse, als ein fremder Mann ihr Gespräch unterbricht. Er stupst sie an der Schulter, grölt «Heeeeeey» und tänzelt mit auffordernden Handbewegungen, ihm zu folgen, wieder von dannen. Die Frauen lächeln das ungeschickte, eher peinliche Angebot dankend weg. «Das kommt oft vor. In den allermeisten Fällen ist es harmlos. Deshalb stört mich die ganze Sexismus- und #MeToo-Debatte. Denn mir gefällt, wenn ein Typ mir seine Aufmerksamkeit schenkt.»

Beobachtungen eines einzelnen Abends. Übergriffe oder penetrante Flirtversuche erleben wir keine. Einige Männer äussern in einem Club den Wunsch, mit der BLICK-Reporterin zu tanzen. Dabei greifen sie nach ihrer Hand und ziehen sie zu sich. Nach einem freundlichen, aber bestimmten Nein, lassen die meisten sofort ab. Nur ein Feiernder versucht sein Glück zweimal – ohne Erfolg.

Alles in Butter? Die befragten Frauen haben keine Angst davor, sich hübsch anzuziehen und feiern zu gehen. Zumal die Security stark präsent ist. Sie können mit der Anmacherei, auch mit dummen Kommentaren gut leben. Sie können sich zur Wehr setzen, wenn nötig. Sie wollen sich den Spass am Nachtleben nicht nehmen lassen. Vielleicht ist es genau das, was sich geändert hat.

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