Alle unter einem Dach
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Nachbarn in Zeiten von Corona:Alle unter einem Dach

Nachbarschaft in Zeiten von Corona
Alle unter einem Dach

Wir sind mehr zu Hause, sprechen öfter mit den Nachbarn und merken: Wir sitzen auf verschiedenen Balkonen, aber alle unter einem Dach. Und doch verstecken sich in diesen Zeiten hinter jeder Tür andere Herausforderungen. Auf Nachbarschaftsbesuch.
Publiziert: 11.04.2020 um 13:16 Uhr
|
Aktualisiert: 14.04.2020 um 15:41 Uhr
Alexandra Fitz

Als ich in die Waschküche trat, hatte sie schon jemand rausgenommen. Meine Wäsche. Schön zusammengefaltet lag sie da. Irgendeiner meiner Nachbarn hatte das gemacht. Er hat sie nicht einfach hässig auf den Tumbler geschmissen, nein. Meine Handtücher, gross und klein, waren gefaltet und übereinander gestapelt. Das berührte mich.

Nachbarn. Mit manchen schlafen wir Nacht für Nacht ein. Nur durch eine Wand getrennt. Manche kennen wir. Andere hören wir nur, wenn sie streiten. Jetzt sitzen wir zusammen fest im selben Haus. Und plötzlich freuen wir uns jedes Mal, wenn wir einen Nachbar erspähen, mit ihm plaudern können. Denn Zeit haben wir seit drei Wochen mehr als genug. Denn Familie, Freunde und Arbeitskollegen sind weit weg, auch wenn sie nur im Nachbardorf wohnen.

Das ist eine Geschichte über meine Nachbarn.

Die Polizistin im Haus: «Ich fahre Streife, ich kann kein Homeoffice machen», sagt Jill, die seit fünf Jahren bei der Stadtpolizei arbeitet.
Foto: Thomas Meier
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Timo

Früher stand Timo (40) am Fenster, weil er rauchte. In diesen Tagen, weil er Homeoffice macht. Das Fenster ist sein Tor zur Aussenwelt und ich sein Feierabendbier-Gschpänli. Timo, er arbeitet im Personalwesen eines Telefonanbieters, hat sich ein Kissen auf den Fensterrahmen gelegt und prostet mir zu. Ich sitze unten beim Eingang des Hauses auf einem Schemeli und proste zurück. Apéro in Zeiten von Corona. Timo wohnt allein und fühlt sich in letzter Zeit auch oft so. Mit seiner Familie in Deutschland verabredet er sich zu virtuellen Spieleabenden. Mit seinen Freunden zu virtuellen Abendessen.

Wie schön es ist, wieder mal Zeit für einen spontanen Schwatz zu haben. Zu Timo sagen zu können, das machen wir nächste Woche wieder. Wann? Egal. Wir sind ja daheim. Das Schemeli steht parat. Timo erzählt von seiner Nachbarin nebenan: «Ich glaube, sie macht Fitness zu Hause, ich höre oft Musik.»

Corinne

Corinne ist 27 Jahre alt und wohnt seit zweieinhalb Jahren im Haus nebenan. Ich habe sie noch nie gesehen. So ist das eben mit den Nachbarn in der Stadt. Die einen kennt man gar nicht, andere grüsst man, manche werden zu Freunden. Ich hinterlasse Corinne eine Nachricht im Briefkasten, frage, ob wir uns kennenlernen können. Ein paar Tage später stehe ich bei ihr im Wohnzimmer. «Not macht erfinderisch», sagt die frühere Bikini-Athletin und zeigt auf eine Matte am Boden. Sie bietet neben ihrem 70-Prozent-Bürojob Bootcamps und Personal Trainings an. Weil dies gerade nicht möglich ist, gibt sie auf Instagram Live-Workouts. Letzten Sonntagabend sahen ihr bis zu 600 Leute zu. Auch über die Videoplattform Zoom kann man an Corinnes Sport-Lektionen teilnehmen. Fitnesskurse für zu Hause boomen: Auf allen Kanälen wird gezeigt, wie man in Zeiten von Corona und #stayathome fit bleibt.

Alex

Wie sich Alex fit hält, weiss ich nicht. Was ich weiss: Seit Corona raucht Alex mehr. Von meinem Balkon aus sehe ich ihn nur knapp. Aber wenn ich rufe, bückt er sich, um mir zu winken. Wir wechseln dann schreiend ein paar Worte.

«Ich trinke auch mehr Alkohol», sagt Alex mit einem Bier in der Hand. Es ist später Nachmittag, und wir treffen uns im Innenhof. Auf zwei Liegestühlen essen wir selbst gemachten Bananenkuchen (hat er vor Corona noch nie gebacken) und reden über die Tücken des Homeoffice. Er und sein Mitbewohner haben ihre Arbeitsplätze auf dem Küchentisch eingerichtet. Webentwickler und Gamedesigner brauchen ja vor allem PCs. «Es ist eigentlich nicht anders als im Büro», sagt Alex, der Webseiten programmiert. Ausser dass er manchmal erst mittags dusche und nicht so recht wisse, was die anderen aus seinem Team so machen. Weil ihm die sozialen Kontakte fehlen (das Ausgehen, die Familie, das Daten), spielt er wieder mehr Computergames – oder sitzt auf seinem Balkon. Seit Corona seien die Leute viel öfter dort anzutreffen.

Zum Glück. Für uns alle! Denn Alex hat letzte Woche seine Nachbarin Alice kennengelernt. Sie klingelte, er öffnete die Tür mit nur einem Handtuch um die Hüfte. Glaubte er doch, dass sein Mitbewohner den Schlüssel vergessen hatte. Aber da stand Alice. Und die sagte: «Äh, sorry, aber auf deinem Balkon brennts!» Die vielen Zigarettenstummel im Aschenbecher hatten angefangen zu qualmen. Corona sei Dank war Alice zu Hause.

Alice

Alice ist in letzter Zeit häufiger daheim. Denn: «Mega schlechtes Timing!» Die 32-Jährige hat auf Ende Januar gekündigt und wäre jetzt mit ihrem Freund auf Reisen. «Wir wollten zwei Monate nach Südkorea», erzählt die Urnerin. Plan B war: Mit einem Büssli durch Europa fahren. Plan C: Mit Büssli durch die Schweiz. «Abr de isch ys klar wordä, dass gar niit me gaht», sagt Alice. Darum ist sie nun statt in Südkorea in Zürich und sitzt mit mir im Treppenhaus. Sie auf der obersten Stufe, ich einen halben Stock tiefer auf meinem Schemeli. Wir haben uns noch nie gesehen. Und das obwohl Alice seit eineinhalb Jahren zwei Stockwerke über mir wohnt. Langweilig ist Alice zu Hause noch nicht. Sie backt Torten und verteilt diese mit dem Velo an Freunde und überlegt sich, sich als Erntehelferin zu engagieren.

Marcello

Selten aus dem Haus geht Marcello (52). Er hatte vor einem Jahr einen Herzinfarkt, muss täglich sechs verschiedene Tabletten schlucken und gehört daher zur Risikogruppe. Mit seinem Hund Locco spazieren zu gehen, lasse er sich nicht nehmen, ein bisschen raus müsse er. Beim Einkaufen trägt Marcello immer eine Maske, zum Gassigehen reichen Gummihandschuhe. «Aber weisch», sagt er «der Hund schnüffelt auch überall und geht nachher mit heim.»

Frau Flückiger

Auch Frau Flückiger gehört zur Risikogruppe und bleibt dieser Tage meist drinnen. Sie ist 79. «Ich bin mir gewohnt, dass ich alleine zu Hause bin», sagt Frau Flückiger. Letztens auf der Strasse sagte sie fast entschuldigend: Sie sei nur kurz vorne im Laden gewesen. Meine Schwester (die auch meine Nachbarin ist) macht für sie die Einkäufe und bringt hin und wieder einen selbst gemachten Zopf. Er sei fein, aber bitte das nächste Mal einen kleineren, sie möge den allein doch gar nicht essen. Ich rufe Frau Flückiger an. Plaudern mag sie gern, aber lieber kein Foto für die Zeitung. Sie sei doch schon so lange nicht mehr beim Coiffeur gewesen.

«Manchmal fällt einem die Decke auf den Kopf, aber dann hebt man ihn wieder bisschen aus dem Fenster», sagt Frau Flückiger. Die Spitex komme noch und mache ihr alle vierzehn Tage den Haushalt. Kochen tut sie gerne, aber Abwaschen sei «das Schlimmste». Die Ferien im Mai – man wäre nach Österreich gefahren – könne sie sich wohl auch abschminken. Aber jammern mag Frau Flückiger nicht. «Sonst geht es mir ja gut. Man muss zufrieden sein, mit dem, was man hat. Es gibt viele, die viel schlimmer dran sind.» Es seien ja nur noch ein paar Wochen, bis sich alles wieder normalisiert. «Hoffen wir es», schiebt sie nach. Wie alt sie denn sei, frage ich am Ende des Gesprächs, wohlwissend, dass man das eigentlich nicht fragt. «Tja», sagt Frau Flückiger. Am Ostersonntag werde ich 80.» Aber der Geburtstag falle ins Wasser. «Aber», so tröstet sich Flückiger, «es fällt allen alles ins Wasser.» Liebe Frau Flückiger, den frischen Zopf (ein kleiner!) haben meine Schwester und ich heute Morgen vor die Tür gelegt. Aber auch auf diesem Weg noch: Alles Liebe zu Ihrem 80. Geburtstag!

Kristina

Zwei Stockwerke unter dem Geburtstagskind schläft ein Kind, das gerade erst geboren wurde. Es ist das erste Kind von Kristina (31). Bei der Geburt konnte ihr Partner zum Glück dabei sein. Am Tag danach verschärften viele Krankenhäuser ihre Regeln für die Väter: vom Besuchsverbot bis zum Kreisssaalverbot. «Stell dir das vor», sagt Kristina. Als die Familie das Spital verliess, sagt man ihnen: niemanden sehen, keinen Besuch empfangen, daheim bleiben. Kristina sagt: «Am allerschlimmsten ist, dass die Familie und die Verwandten den Kleinen nicht sehen dürfen.» Ihre Mama werde doch das erste Mal Grossmutter. Die Schwägerin kam vorbei, blieb aber im Treppenhaus stehen. «Es kamen die Tränen, als sie den Kleinen mit zwei Meter Abstand sah und ihn nicht halten durfte», erzählt Kristina. Der kleinen Familie geht es gut. Auch wenn die Hebamme beim Hausbesuch wie auch Kristina Schutzmasken tragen.

Jill

Auch Jill (30) ist nicht im Homeoffice. «Ich fahre Streife», sagt sie lachend. Sie ist seit fünf Jahren Polizistin bei der Stadtpolizei Zürich. Ich treffe sie vor ihrer Nachtschicht in der Waschküche – Polizisten waschen ihre dreckige Wäsche selber. Mit dem Velo wird sie zur Arbeit fahren und dann im Auto durch die Stadt. «Wenn jemand die 117 anruft, kommen wir», sagt Jill. Es gebe auch in dieser Zeit Verkehrsunfälle oder Leute, die abgesehen von Corona, Hilfe brauchen. Aber es sei schon ruhiger als sonst. Es seien ja auch weniger Leute unterwegs.

Pedro

Weil weniger Leute feiern gehen, hat Nachbar Pedro Umsatzeinbussen von 90 Prozent. Nein, er hat keine Bar. Der 36-Jährige hat Kaex Basic entwickelt, ein Nahrungsergänzungsmittel gegen Kater. Dass Events wie die Eishockey-WM oder die Fussball-EM ausfallen, trifft den Selbständigen. Das Sponsoring ist auf solche Anlässe ausgerichtet. Beim Public Viewing wird getrunken – ideal für den Absatz eines Anti-Kater-Mittels. «Es ist schon krass», sagt Pedro, «wenn von einem Tag auf den anderen die Verkaufszahlen und der Umsatz zusammenbrechen». Aber es heisst doch, die Leute trinken seit dem Lockdown mehr Alkohol zu Hause? Seit kurzem merkt auch Pedro wieder einen Anstieg beim Verkauf. Hält die Situation also länger an, könnte das Katermittel profitieren – ob das gesellschaftlich ein gutes Zeichen ist? Aktuell ist der Selbständige froh über die Hilfe vom Bund und dem zinslosen Bankkredit. Selber hat Pedro keinen Kater, aber einen Hund. «Mit einem Tier musst du vor die Tür und wirst nicht schräg angeschaut, wenn du draussen bist», sagt Pedro und streichelt Chewie dankbar über den Kopf.

Barbara und Nico

Mehr als schräg angeschaut wurde Nachbar Nico (36) vergangenes Wochenende. «Ich war mit zwei Freunden biken, da fuhr eine ältere Frau mit dem Auto ganz nah an mich ran und zeigte mir ihren Mittelfinger», erzählt er in einer Mittagspause im kleinen Pärkchen neben unserem Haus. Er und seine Frau Barbara (32) machen viel Sport, an den Wochenenden fahren sie in die Berge. Ein Skiurlaub in Österreich bescherte ihnen zwei Wochen Selbst-Quarantäne, weil im Gebiet viele Corona-Fälle gemeldet wurden.

Die Nachbarn. So viele Geschichten auf so engem Raum. Schade eigentlich, dass es so was Dummes wie Corona braucht, um sie besser kennenzulernen. Ich glaube, ich weiss nun, wer meine Wäsche letztens so schön zusammengelegt hat. Die Neuen! Ich geh mal klingeln und nimm mein Schemeli mit.

Coronavirus

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Schutz gegen Coronavirus

Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit, wie Sie sich selbst schützen können:

Hygienemassnahmen

  • Hände regelmässig mit Wasser und Seife waschen und/oder Desinfektionsmittel nutzen.
  • Nicht in Hände niesen oder husten, sondern Taschentuch oder Armbeuge nutzen. Taschentücher anschliessend sofort korrekt in geschlossenem Abfalleimer entsorgen.
  • Bei Fieber und Husten zwingend zu Hause bleiben.

Kontakt minimieren

  • Zu Hause blieben und Kontakte mit Personen möglichst minimieren. Nur in Ausnahmesituationen aus dem Haus gehen: Lebensmittel einkaufen / Arzt- oder Apothekenbesuch / Homeoffice ist für Ihre Arbeit nicht möglich / Sie müssen anderen Menschen helfen. Kontakt mit Personen vermeiden, die Atembeschwerden oder Husten haben.
  • Wichtig: Keine Begrüssungsküsschen, keine Umarmungen, kein Händeschütteln.
  • 2 Meter Abstand zu Mitmenschen halten, beispielsweise beim Anstehen oder bei Sitzungen.
  • Öffentliche Verkehrsmittel meiden und Lieferdienste nutzen.
  • Bei Symptomen (Atembeschwerden, Husten oder Fieber) nicht in die Öffentlichkeit gehen und umgehend – unbedingt zuerst telefonisch – eine Ärztin, einen Arzt oder eine Gesundheitseinrichtung kontaktieren.

Informiert bleiben

  • An die Regeln und Ansagen der Behörden halten. Infoline Coronavirus: 058 463 00 00, Info-Seite des BAG: bag-coronavirus.ch

Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit, wie Sie sich selbst schützen können:

Hygienemassnahmen

  • Hände regelmässig mit Wasser und Seife waschen und/oder Desinfektionsmittel nutzen.
  • Nicht in Hände niesen oder husten, sondern Taschentuch oder Armbeuge nutzen. Taschentücher anschliessend sofort korrekt in geschlossenem Abfalleimer entsorgen.
  • Bei Fieber und Husten zwingend zu Hause bleiben.

Kontakt minimieren

  • Zu Hause blieben und Kontakte mit Personen möglichst minimieren. Nur in Ausnahmesituationen aus dem Haus gehen: Lebensmittel einkaufen / Arzt- oder Apothekenbesuch / Homeoffice ist für Ihre Arbeit nicht möglich / Sie müssen anderen Menschen helfen. Kontakt mit Personen vermeiden, die Atembeschwerden oder Husten haben.
  • Wichtig: Keine Begrüssungsküsschen, keine Umarmungen, kein Händeschütteln.
  • 2 Meter Abstand zu Mitmenschen halten, beispielsweise beim Anstehen oder bei Sitzungen.
  • Öffentliche Verkehrsmittel meiden und Lieferdienste nutzen.
  • Bei Symptomen (Atembeschwerden, Husten oder Fieber) nicht in die Öffentlichkeit gehen und umgehend – unbedingt zuerst telefonisch – eine Ärztin, einen Arzt oder eine Gesundheitseinrichtung kontaktieren.

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  • An die Regeln und Ansagen der Behörden halten. Infoline Coronavirus: 058 463 00 00, Info-Seite des BAG: bag-coronavirus.ch
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