Pfarrerin Priscilla Schwendimann (28) organisierte über Facebook Trauergäste
Die Exotin im Gotteshaus

Die Pfarrerin Priscilla Schwendimann (28) wollte nicht hinnehmen, dass eine einsam Verstorbene ohne Trauergäste beerdigt werden sollte – und organisierte über Facebook 20 Menschen.
Publiziert: 21.02.2021 um 10:31 Uhr
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Aktualisiert: 07.05.2021 um 16:25 Uhr
Die reformierte Pfarrerin Priscilla Schwendimann (28) in der Kirche St. Peter in Zürich. Hier hält sie Gottesdienste ab.
Foto: Thomas Meier
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Rebecca Wyss

Denkt man an Kirche, an Kutten, an die Bibel, ist eine Priscilla Schwendimann das Letzte, was einem dabei einfallen würde. Die 28-Jährige ist wie eine kleine Naturgewalt: schnell im Sprechen, noch schneller im Handeln und ohne Tabus. Ihren Talar für den Gottesdienst hat sie sich im Stil einer katholischen Albe schneidern lassen, weil ihr der klassische «zu sackig» ist. Und als lesbische Pfarrerin ist sie eine Exotin.

Diese ungewöhnliche Frau tat vor drei Wochen etwas Ungewöhnliches. Sie startete auf Facebook einen Aufruf, wie der «Tages-Anzeiger» später schrieb: «Falls jemand von Euch morgen nichts vorhat und eine halbe Stunde Zeit hat und in der Nähe von Zürich ist: Komm doch an diese Beerdigung. Erweisen wir dieser Person die letzte Ehre.»

Trost in einsamen Corona-Zeiten

Die Resonanz war gewaltig. Auf Facebook zündeten Menschen virtuelle Kerzen an. Und zwanzig Leute stapften an jenem Morgen durch den Schnee an die Abdankungsfeier einer 84-jährigen Verstorbenen. Manche nahmen drei Stunden Weg auf sich. «Mit so viel Anteilnahme habe ich gar nicht gerechnet», sagt Schwendimann jetzt im Pfarrhausstübli neben der Kirche St. Peter in Zürich.

Die Frau war in einem Heim für Demenzkranke gestorben, hatte keine Hinterbliebenen. Schwendimann hatte sich schlecht vorstellen können, alleine am Grab zu stehen. «Jeder von uns hat es verdient, dass ihn ganz zum Schluss jemand auf der letzten Reise begleitet.»

Auch die Trauergäste hatten etwas davon. Viele hätten ihr gesagt, sie hätten Angst, auch mal alleine beerdigt zu werden. «Die Beerdigung war in diesen Zeiten vielen ein Trost.» Plötzlich gehörten sie alle zu einem zusammengewürfelten Haufen von Fremden, zu einer Gemeinschaft.

Auch Schwendimann war für einmal Teil davon: Für einmal durfte auch sie ihre Trauer zeigen. «Mir brach die Stimme kurz weg, das gibt es sonst nie.» Sonst ist sie an Beerdigungen der Anker. Wenn alle zusammenbrechen, ist sie die, die sagt: «Wir laufen jetzt in diese Richtung.»

Ihr Coming-out änderte alles

Schwendimanns Facebook-Aktion ist einzigartig in der Schweiz. Und passt zu keinem kirchlichen Protokoll. Ein Blick auf ihre Geschichte zeigt, weshalb das kein Zufall ist: Die junge Frau musste sich von Grund auf neu erfinden, verinnerlichte Normen über den Haufen werfen.

Die Pfarrerin wuchs eingebettet in einer evangelikalen Gemeinschaft in Kairo auf, ihr Vater ist Ägypter, ihre Mutter Schweizerin. Mit 18 kam sie in die Schweiz, um Theologie zu studieren. Sie wollte Missionarin werden. Doch sie lernte ihre Kommilitonin Eva kennen, und Eva machte ihr einen Strich durch die Rechnung.

«Ich merkte lange gar nicht, dass ich verliebt war», sagt sie. Homosexualität passte nicht in ihr konservatives Weltbild: Homosexualität war für sie eine Krankheit. Sie suchte Hilfe bei einer Seelsorgerin, die sie gesund beten sollte. «Meine Einstellung von damals ist mir heute peinlich.»

Als sie dann nach langem zu sich stehen konnte, zu ihrer Sexualität, verlor sie fast alle Menschen, die ihr lieb waren. Freunde, von denen auch mal einer sagte, Homosexuelle gehörten gesteinigt. Ein WG-Kollege wollte nicht mal mehr mit ihr – «der Sünderin» – am Esstisch sitzen.

In der reformierten Kirche fand sie eine neue Heimat. «Hier darf ich ich selbst sein.» Alle würden akzeptieren, dass sie in einer eingetragenen Partnerschaft lebe – mit Eva.

Sie will die Jungen erreichen

Die Krise war auch heilsam, sagt Schwendimann heute. «Ich habe erfahren: Gott liebt dich über alles, egal, wie du bist.» Diese Botschaft will sie zu den Leuten bringen. Aber nicht nur durch ihre sonntäglichen Predigten in der Kirche St. Peter.

2019 lief sie mit einem gefakten Logo der reformierten Kirche an der Pride mit. Und vor kurzem initiierte sie mit einer Kollegin den Youtube-Kanal «Holy Shit». Mit Clips über Kirche und Masturbation oder Schwendimanns Coming-out-Geschichte. Sie nutzt moderne Kommunikationskanäle, mit einer unmittelbaren Sprache, die auch mal ein «Das ist Kacke» erlaubt. Kirchenintern seien nicht alle mit dem Youtube-Kanal einverstanden, aber: «Ich will nicht alle Jungen an die Freikirchen verlieren.»

Schwendimann stösst in der reformierten Kirche etwas an. Diese plant nun eine Adressliste für freiwillige Trauergäste, die sich für Beerdigungen aufbieten lassen.

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