Sportpsychologe Jan Rauch hilft Athleten, mental stärker zu werden
«Der Grat zwischen Leidenschaft und Obsession im Sport ist schmal»

Der Sportpsychologe Jan Rauch betreut Spitzenathleten. Er hilft ihnen, mental stärker zu werden. Oft geht es aber auch um ganz alltägliche Dinge wie Streitigkeiten mit Angehörigen oder Trennungen. Und manchmal um die Angst vor dem Start oder vor dem Karriereende.
Publiziert: 23.09.2019 um 09:35 Uhr
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Aktualisiert: 23.09.2019 um 10:19 Uhr
Beat Glogger @higgsmag

Herr Rauch, warum sieht man so oft Wutausbrüche bei Sportlern?
Emotionen sind viel stärker als rationale Argumente. Gerade heute hatte ich eine Beratung mit einem Athleten, der Angst vor dem Start hat. Ich kann ihm lange erzählen, aus welchen Gründen er keine Angst zu haben braucht. Das weiss er alles. Und doch sind die Emotionen viel mächtiger – gerade im Sport. Da ist es kein Wunder, dass ab und zu ein Tennis-Racket zu Bruch geht.

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Hat da der Sportpsychologe schlechte Arbeit geleistet?
Nicht unbedingt. Solche Ausbrüche können auch dazu dienen, die Emotionen zu regulieren, um sich danach wieder zu fokussieren. Es heisst, dass der Tennisspieler John McEnroe solche Ausbrüche bewusst dazu eingesetzt hat. Er hat ganze Tische mit Gläsern darauf zu Boden geschmissen oder Sonnenschirme ins Publikum geworfen. Wenn er aber danach wieder auf den Platz ging, hat er meistens ein Ass geschlagen. Wenn man sich mit einem Ausbruch emotional regulieren kann, muss das also nicht nur schlecht sein. Allerdings sollte dabei niemand zu Schaden kommen. Ein wütender Schrei kann aber regulierend sein.

Bei Roger Federer gibt es manchmal Momente, in denen er wie eine Maschine programmiert und fokussiert scheint. Hat er das geübt?
Man weiss, dass Federer in seiner Jugendzeit mit einem Sportpsychologen zusammengearbeitet hat. Damals hatte er seine Emotionen nicht immer im Griff. Heute schon – wahrscheinlich braucht er dafür heute keinen Psychologen mehr.

Der Sportpsychologe Jan Rauch betreut auch bekannte Spitzensportler. Welche, bleibt aber sein Geheimnis.
Foto: René Ruis
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Was haben Sie dem Athleten mit der Angst vor dem Start geraten?
Wir erarbeiten gemeinsam ein Startritual. Dazu können Selbstgespräche, Bewegungen und Gesten gehören. Tennisspieler nutzen dazu zum Beispiel häufig das Balltätscheln. Einfach etwas, das immer gleich ist, sich mit der Zeit automatisiert und dem Gehirn sofort signalisiert: Jetzt brauche ich Konzentration, Leistung!

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Wie sieht eine Zusammenarbeit von Ihnen mit einem Athleten aus?
Grundsätzlich geht es um die Betreuung eines Athleten im mentalen Bereich. Wir richten uns nach individuellen Bedürfnissen. Wenn jemand einfach seine Leistung am Tag X abrufen können will, helfen wir mit mentalen Trainings. Aber oft gehen die Wünsche der Athleten weit über Mentaltraining hinaus. So arbeiten wir mit den Athleten auch häufig an psychologischen Anliegen ausserhalb des eigentlichen Sports: Krach mit dem Trainer oder dem Lebenspartner, die Ablösung vom Elternhaus und so weiter.

Gibt es ein typisches Problem, mit dem Athletinnen und Athleten zu Ihnen kommen?
Es gibt schon Themen, die verhältnismässig häufig sind: Selbstvertrauen, Leistung im Wettkampf schlechter als im Training oder das Bevorstehen besonders wichtiger Selektionsrennen oder sportlicher Grossanlässe. Aber wie gesagt: Es geht auch um eine ganze Bandbreite von Anliegen, die nicht unbedingt mit dem Sport zusammenhängen. Es gibt auch Athleten, die sich fragen, ob sie überhaupt noch Spitzensport treiben wollen, aber nicht aufhören können, weil sie zum Beispiel Verpflichtungen gegenüber ihrem Umfeld oder gegenüber Sponsoren haben. Ihnen helfen wir, die für sie richtige Entscheidung zu treffen. Sei es, die Freude am Sport wiederzugewinnen oder eben aufzuhören.

Sind darunter auch bekannte Spitzensportler?
Ja, aber ich darf natürlich nicht sagen, wer. Wir unterstehen dem Berufsgeheimnis.

Wäre es nicht schön zu erzählen, dass Sie der Mentaltrainer einer Athletin sind, die gerade eine Goldmedaille gewonnen hat?
Ja, das wäre manchmal schön. Da freue ich mich natürlich schon. Aber ich leide auch mit, wenn es einer Athletin oder einem Athleten schlecht geht. Es ist wichtig zu sehen, dass Spitzensport ein komplexes System ist. Hinter jemandem wie Roger Federer stehen zehn, vielleicht zwanzig Leute, die alle dazu beitragen, dass er Topleistungen erbringen kann. Ein Sportpsychologe ist nur eines von vielen Zahnrädchen in so einem System.

Warum schreien vor allem Tennisspielerinnen bei jedem Schlag?
Das Ausatmen bei der Kraftanwendung ist in vielen Sportarten wichtig. Vor einem halben Jahr zeigte eine Studie, dass die Rumpfmuskulatur stärker wirkt, wenn man dazu auch noch stöhnt. Auch umgekehrt funktioniert es: In einem Versuch zeigten Forschende ihren Probanden Videos von Tennisspielern. Zu diesen Videos spielten sie manchmal Stöhngeräusche ein, manchmal nicht. Die Probanden schätzten die Schläge mit Stöhngeräusch deutlich länger ein als ohne.

Manchmal sieht man im Fussball, dass eine ganze Mannschaft mental zusammenbrechen kann. Ist das erklärbar?
Es gibt das Phänomen der emotionalen Ansteckung. Wenn man sich jemandem zugehörig fühlt, wie das in einem Team der Fall ist, lässt man sich emotional leichter anstecken. Wenn dann in einer Mannschaft gerade die Teamleader emotional instabil sind, kann das Mitspieler anstecken. So kann das ganze Team heruntergezogen werden.

Auch die Körperhaltung eines Penalty-Schützen nach einem verpassten Treffer beeinflusst anscheinend den nächsten Schützen.
Ja, das ist so. Auch die Haltung der anderen Spieler nach einem verschossenen Penalty hat einen Einfluss auf den nächsten Schützen. Das ist der Grund, weshalb viele Mannschaften zum Beispiel beim Penaltyschiessen Arm in Arm in einer Linie stehen. Sie nehmen jeden Schützen wieder in ihrer Mitte auf, nicht am Rand. So zeigen sie ihm: Du gehörst zu uns, egal, was passiert. Das signalisiert dem nächsten Spieler eine gewisse Sicherheit.

Der Sportpsychiater Malte Claussen von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich hat kürzlich kein gutes Haar an der Sportpsychologie gelassen. Psychologen würden nicht erkennen, wenn es den Athleten psychisch wirklich schlecht ginge. Erhalten Sie hier Konkurrenz von Kollegen?
Es gibt in der Schweiz keine Ausbildung, die einen Psychiater zusätzlich im Sport befähigen würde. Es gibt Psychiater mit einem Interesse an Sport und vielleicht Klienten aus dem Sportbereich, und die nennen sich jetzt einfach Sportpsychiater und haben einen Verband gegründet. Wir haben zusammen mit den Sportmedizinern und eben diesen «Kollegen» letztes Jahr sogar eine Tagung durchgeführt, haben sie quasi bei Swiss Olympic vorgestellt. Da erstaunt es mich ziemlich, dass sie uns jetzt seit etwa zwei Monaten in der Öffentlichkeit so in den Rücken fallen.

Wer ist nun kompetenter: Sportpsychologen oder Sportpsychiater?
Die Ausbildung ist völlig unterschiedlich. Psychiater sind Mediziner, die eine Zusatzausbildung in Psychotherapie machen. Sportpsychologen absolvieren nach einem Master in Psychologie ein dreijähriges Nachdiplomstudium in Sportpsychologie. Hier lernen sie neben sportpsychologischen Methoden auch diagnostische Verfahren sowie Intervision und Supervision, in denen die eigenen Fälle besprochen und reflektiert werden. Ein Sportpsychologe befasst sich also mindestens neun Jahre im weiteren Sinne mit dem Menschen und seiner Psyche. Wenn nun ein Mediziner, der vor allem darin geschult ist, Probleme medikamentös zu behandeln, den Psychologen und auch den Sportverbänden vorwirft, sie würden die Athleten nicht ganzheitlich als Menschen betrachten, ist das ja geradezu ein Witz. Das Gegenteil ist wahr. Das sind meines Erachtens absichtliche Falschaussagen, die schlussendlich auch dazu geführt haben, dass unser Verband die Zusammenarbeit mit dem Verband der Sportpsychiater beendet hat.

Dann gibt es noch Psychologische Psychotherapeuten – ja, so heisst das wirklich! Und das ist wichtig, damit man sie nicht mit den Psychologen verwechselt. Diese haben einen Master in Psychologie, danach folgt in der Regel eine vierjährige Vertiefung in Psychotherapie plus berufsbegleitende Psychotherapieerfahrung.

Sie betreiben auch Forschung. Wie erforscht man die Psychologie ganzer Mannschaften?
In meiner Doktorarbeit habe ich zum Beispiel untersucht, wie Fussballer bei Kopfbällen aufs Tor zielen. In Experimenten mit einer Maschine, die den Spielern Bälle wie scharfe Flanken zuspielte, konnten wir zeigen, dass viele Fussballer denselben Fehler begehen, weil ihr intuitives Verständnis von Physik falsch war:
Sie zielen mit dem Kopf dorthin, wo sie den Ball im Tor sehen möchten. Doch das funktioniert nicht. Wenn sie einen Flankenball, der mit 80 km/h daherkommt, mit dem Kopf ins Tor schiessen wollen, müssen sie die Geschwindigkeit der Flanke kompensieren und auf einen Punkt neben dem eigentlichen Ziel zielen.

Bei Spitzensportlern ist mir manchmal nicht klar, ob sie den Sport überhaupt noch aus Freude betreiben oder darunter leiden.
Tatsächlich ist der Grat zwischen Leidenschaft und Obsession im Spitzensport manchmal schmal.

Sprinterinnen wie die Schweizerin Mujinga Kambundji gehen jeden Tag trainieren, einzig, um noch eine Hundertstelsekunde schneller zu werden. Ist das nicht absurd?
Das kann man schon so betrachten, wenn man will. Aber es zeigt eben auch die Passion und den enormen Willen, die solche Athleten an den Tag legen, gegen Widerstände und Schmerzen. Das ist auch mentale Stärke. Das kann nicht jeder.

Ist Sport so noch gesund?
Harter Spitzensport kann schon ungesund werden. Aber es kommt auch hier darauf an. Roger Federer ist ein gutes Beispiel für einen gesunden Sportler. Ich habe ihn auch schon trainieren sehen. Er spielt einfach intensiv Tennis mit seinem Trainer. Natürlich macht er daneben viel Fitness- und Krafttraining. Aber das ist ja gesund. Federer mit seinem für Spitzentennis schon hohen Alter ist das beste Beispiel dafür, dass Sport gesund ist. Und überhaupt: Wenn man den ganzen Tag am Computer im Büro sitzt, ist das auch nicht gesund.

Aber es gibt auch Fälle wie die Skirennfahrerin Lindsey Vonn oder den Spitzenschwimmer Michael Phelps. Sie litten an Depressionen, waren auf Antidepressiva angewiesen. Fussball-Goalie Robert Enke beging Suizid, weil er dem Druck nicht mehr standhalten konnte.
Hier muss man vorsichtig sein. Unter Sportlern gibt es keine erhöhte Rate an psychischen Erkrankungen. Aber es gibt eine Tendenz, dass in Sportarten, wo Anti-Gravitation, grosse Ausdauer oder körperlich-ästhetische Aspekte besonders wichtig sind, eine leichte Häufung von Essstörungen auftreten, weil dort das Körpergewicht eine wichtige Rolle spielt. Aber sonst sind Sportler psychisch gleich gesund wie Nichtsportler. Chronischer Stress ist einer der wichtigsten Faktoren, die Depressionen begünstigen. Und viele Spitzensportler stehen durch den Leistungsdruck unter Dauerstress. Da ist es kein Wunder, wenn dort auch Depressionen auftreten. Aber das ist auch in Spitzenpositionen ausserhalb des Sports so – bei Managern zum Beispiel.

Gibt es etwas, das wir alle uns bei Sportlern abschauen können?
Ich habe einmal ein Forschungsprojekt mit dem Fussballklub Seefeld durchgeführt und untersucht, welchen Effekt eine positive Einstellung auf das Teamgefühl hat. Wir haben die Methode der drei guten Dinge eingeführt. Jeder Spieler musste während ein paar Wochen nach dem Training reflektieren, welche drei Dinge in diesem Training schön für ihn waren. So fokussieren wir auf das Positive, statt herumzunörgeln. Tatsächlich fühlten sich nach kurzer Zeit alle Spieler besser – sowohl jene, die in jedem Match eingesetzt wurden, wie auch die Ersatzspieler, die gar nicht viel gespielt hatten. Diese drei guten Dinge kann jeder praktizieren.

Publikumsfrage: Welche Tipps können Sie Amateur-Tennisspielern geben?
Es gibt eine Methode, die sich «16 Second Cure» nennt. Innerhalb 16 Sekunden soll man so nach einem emotionalen Moment wieder auf sein Spiel fokussieren können. Diese Methode ist weit verbreitet, auch Roger Federer praktiziert sie. Eine Routine vor dem Aufschlagen ist dabei wichtig.

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