«Tischlein deck dich» vorübergehend geschlossen
Corona-Krise trifft Schweizer am Existenzminimum

Der Verein «Tischlein deck dich» versorgt armutsbetroffene Menschen in der Schweiz kostenlos mit Lebensmitteln. Wegen der Corona-Krise mussten all seine Geschäfte geschlossen werden. Was bedeutet das für die Menschen, die auf das Angebot angewiesen sind?
Publiziert: 25.03.2020 um 10:48 Uhr
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Aktualisiert: 26.03.2020 um 13:47 Uhr
Anne Grimshaw

Die meisten Läden sind wegen der Corona-Krise geschlossen. Nur Lebensmittelgeschäfte bleiben offen. Doch leider nicht alle: Am Montag, 16. März, verkündete «Tischlein deck dich» die vorübergehende Schliessung seiner 132 Lebensmittelabgabestellen. Dort konnten sich von Armut betroffene Menschen gegen einen symbolischen Franken wöchentlich mit Lebensmitteln eindecken.

Ein begehrtes Angebot: Im Jahr 2019 wurden 4543 Tonnen überschüssige Lebensmittel aus der Lebensmittelindustrie, der Landwirtschaft und dem Detailhandel an Schweizerinnen und Schweizer am Existenzminimum weiterverteilt.

Viele freiwillige Helfer über 65

Diesen Dienst vorläufig einzustellen, war für die Organisation kein leichter Entscheid: «Wir haben zunächst versucht, die Situation mit verschärften Hygienemassnahmen zu kontrollieren», sagt Mina Dello Buono (54) von der Geschäftsstelle «Tischlein deck dich» gegenüber BLICK.

Wegen des Coronavirus sind seit 16. März alle Filialen des wohltätigen Vereins «Tischlein deck dich» geschlossen.
Foto: Fabio Baranzini
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«Das reichte aber nicht aus, da die meisten unserer freiwilligen Helfer über 65 Jahre alt sind und somit der Risikogruppe angehören.» Zudem sei es in den Abgabestellen unmöglich, den nötigen Sicherheitsabstand von zwei Metern zwischen den Personen herzustellen.

Leben mit 700 Franken pro Monat

Eine Kundin, die auf das Angebot von «Tischlein deck dich» angewiesen ist, ist Verena B.* (53). Die ehemalige Rechtsberaterin ist nach einem Schlaganfall in die Armut gerutscht. Sie muss mit 700 Franken im Monat auskommen. Nach Bezahlung von Strom, Telefonkosten und anderen Rechnungen bleibt am Ende des Monats nicht viel übrig.

«Bei ‹Tischlein deck dich› erhielt ich immer gutes Brot und Gemüse. Manchmal auch eine kleine Leckerei, die ich mir normalerweise nicht leisten könnte», sagt Verena B. zu BLICK. Seit der Schliessung der Läden sei sie gezwungen, bei normalen Detailhändlern einzukaufen, was ein grosses Loch in ihr Portemonnaie reisst.

Auch die fünfköpfige Familie von Daniel S.* (53) aus Belp BE nutzt das Angebot von «Tischlein deck dich» regelmässig. Glücklicherweise hatte er bereits vor Ausbruch der Pandemie einen Vorrat an Lebensmitteln angelegt.

«Jetzt müssen wir halt mit dem auskommen, was wir noch haben. Wahrscheinlich waren wir durch das Angebot von «Tischlein deck dich» ein wenig verwöhnt», sagt er und erzählt, wie sich seine Familie jeweils freute, wenn er Hüttenkäse, Kaugummis oder Eistee nach Hause gebrachte. Alles Produkte, die sich die Familie in normalen Läden nicht kaufen kann.

«Von Armut betroffene Menschen dürfen nicht durchs Netz fallen»

An wen können sich Menschen wie Verena B. und Daniel S. nun wenden? «Jeder, der eine ‹Tischlein deck dich›-Karte hat, darf mit dieser Karte ab sofort in Caritas-Märkten einkaufen», erklärt Dello Buono. Dort sind Lebensmittel zu reduzierten Preisen erhältlich.

Für Verena B. ist das keine Option. Die Fahrtkosten von ihrem Wohnort zum nächsten Caritas-Markt seien zu hoch und die Preise dort vergleichsweise nicht günstig genug. Auch Daniel S. weicht für Lebensmitteleinkäufe statt auf den Caritas-Markt meist auf Discounter wie Lidl oder Aldi aus.

Übrig gebliebene Lebensmittel mit kurzer Haltbarkeit hat «Tischlein deck dich» an die Schweizer Tafel und andere karitative Einrichtungen abgegeben. Diese werden jetzt mehr denn je gebraucht: «Von Armut betroffene Menschen dürfen nicht durchs Netz fallen», betont sie. «Ich freue mich, dass es so viele Gemeinden, Kirchen und Private gibt, die sich nun organisieren, um denen zu helfen, denen es nicht so gut geht.»

Private Initiativen sind begehrt

Teil einer privaten Aktion sind Fabienne Buser (31) und ihr Partner Alessandro Menna (29) aus Zürich. Sie setzen sich mit ihrem Verein «Siidefade» für benachteiligte Menschen in der Schweiz ein.

Dafür betreiben sie verschiedene Facebook-Gruppen, bei denen sich armutsbetroffene Personen austauschen oder melden können, wenn sie etwas brauchen. In der Facebook-Gruppe «Fresspäckli» können sich Helfer melden, die ein Paket mit Nahrungsmitteln versenden wollen.

In der aktuellen Krise sind die Dienste des Vereins besonders gefragt: «In den letzten Wochen – und vor allem seit ‹Tischlein deck dich› geschlossen wurde – haben wir einen enormen Zulauf an Anfragen. Vor allem für unsere Nothilfe, mit der wir innerhalb kurzer Zeit Hilfe leisten.» Aber in der momentanen Situation seien auch einige Helfer finanziell nicht mehr gut dran. Sie könnten die Kosten für den Lebensmitteleinkauf einer armutsbetroffenen Person nicht mehr ohne weiteres übernehmen.

*Name der Redaktion bekannt

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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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