Ein Aufruf zu mehr Selbstrespekt von Thomas Meyer
Feminismus bedeutet weniger Sex

Viele Frauen ärgern sich über Männer, die aus ihrem Leben verschwinden, kaum haben sie bekommen, was sie wollten. Doch Männer tun bloss, was man sie tun lässt. Ein Aufruf zu mehr Selbstrespekt.
Publiziert: 21.01.2018 um 15:02 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 22:05 Uhr

Kannst du mir das bitte mal aus Männersicht erklären?» Tanja (alle Figuren erfunden, Ähnlichkeit mit lebenden Personen möglich) hält mir ihr Smartphone vors Gesicht. Darauf ist ein Whatsapp-Dialog mit Dario zu sehen, Tanjas neuer Bekanntschaft. Die beiden haben sich über die Dating-App Tinder kennengelernt und dreimal getroffen, wobei sie zweimal miteinander geschlafen haben. Zu Beginn hat sich Dario mächtig ins Zeug gelegt, doch seit ihrer letzten Begegnung zeigt er sich reserviert, wie ich auf Tanjas Handy nachverfolgen kann: Er beantwortet ihre Fragen ausweichend und mit einiger Verzögerung. Besonders jene nach einem nächsten Date: «Vielleicht nächs­-tes Wochenende», meint er, «mal schauen.» Tanja wundert sich: «Der war doch so interessiert an mir, wieso kommt jetzt da nichts mehr?»

Frauen wollen etwas anderes hören

Frauen sollten etwas zurückhaltender sein und nicht jeden Mann ins Bett lassen, sagt Thomas Meyer

Ich weiss, was Tanja von mir hören möchte: dass Dario zu schüchtern/ängstlich/ergriffen sei, um ihr seine Liebe zu zeigen, und lediglich ein wenig Zeit/Raum/Alkohol brauche, um sich mit seinen Gefühlen anzufreunden, schon bald aber zu ihr eilen werde, um ihr diese zu gestehen und für immer an ihrer Seite zu bleiben. In den Augen vieler Frauen funktionieren die Männer genau so: Sie schlafen mit ­ihnen und entbrennen darob in heftiger Liebe, müssen sich dann aber genauso zügig distanzieren, weil sie aufgrund ihrer kruden emotionalen Struktur mit derartigen Empfindungen überhaupt nicht um­gehen können. So erklären Frauen ­einander jeweils das plötzliche Verschwinden eines Mannes: Weisst du, der hat einfach Angst. Der kann mit einer starken Frau wie dir nicht umgehen.

Aber wenn einer sich aus dem Staub macht, liegt das nur in den seltensten Fällen an zu intensiver Zuneigung. Ich teile Tanja mit, dass Dario sie allem Anschein nach nur habe flachlegen wollen, und nachdem er dies problemlos erreicht habe, sei die Sache für ihn nun leider erledigt. Dafür ernte ich von ihr einen ebenso erschrockenen wie empörten Blick, gefolgt von einer Schimpftirade gegen die triebgesteuerten Wüstlinge, die ihr und ­ihresgleichen reihenweise das Herz brächen – alle seien sie gleich, alle! Nur eines im Kopf!

Nicht jeden Anwärter gleich mit heim nehmen.
Foto: Corinna Staffe

Tinder ist kein idealer Ort um einen Partner zu finden

Tanja ist 39 Jahre alt. Man könnte meinen, sie wisse es besser. Sie wisse beispielsweise, dass Tinder nicht der ideale Ort ist, um jemanden für eine seriöse Beziehung zu finden (ja, es gibt seltene Ausnahmen, aber die sind genau das: seltene Ausnahmen). Und dass ein Mann, der mit einer Frau ins Bett will, logischerweise seinen ganzen Charme dafür aufbietet und nicht nur den halben. Und dass sein entsprechendes Engagement nicht gleichgesetzt werden darf mit dem Wunsch, eine feste Beziehung einzugehen. Und dass eine Begegnung zwischen zwei Menschen, die sofort sexuell wird, meist nicht darüber hinausgeht. Und dass Kommunikation, die sich nur auf schriftlichem Weg abspielt, die Gefahr von utopischen Interpretationen und fatalen Missverständnissen birgt. Und dass man jemanden, der es ­einem angetan hat, möglichst bald mit seinen Gefühlen konfrontieren sollte, anstatt stumm zu hoffen, er werde sie dann schon erwidern, wenn man nur lange und schweinisch genug mit ihm schläft.

Sie kommen und gehen sogleich. Frauen sollten gemäss Autor Meyer nicht jeden Mann gleich mit ins Bett nehmen.
Foto: Corinna Staffe

Eigentlich weiss Tanja das auch alles. Sie hat es schon oft genug durchgespielt. Aber weil der Mensch kein sonderlich inniges Verhältnis zur Realität hat, aber dafür mit seiner Eitelkeit, hat Tanja auch diesmal geglaubt, die seltene Ausnahme zu sein und die genannten Gesetzmässigkeiten ignorieren zu können: Wozu warten mit Sex, wenn doch sowieso alles gut kommt? Wozu mühselige Gespräche führen über Empfindungen und Bedürfnisse, wenn man doch so gut zusammenpasst? Doch nun sitzt Tanja wütend und enttäuscht da, in der einen Hand ein Weinglas und in der anderen ihr Telefon, auf dem partout keine Nachricht von Dario eintreffen will, und tut, was Frauen in ihrer Lage gern tun: Sie macht sich zum Opfer, indem sie die Verantwortung auf den Mann schiebt. Er soll die ­alleinige Ursache ihrer schlechten Gefühle sein. Die Sache ist allerdings etwas komplizierter. Oder einfacher, je nachdem.

Dario ist bloss ein Fuckboy

Hätte Tanja nämlich vorerst da­rauf verzichtet, mit Dario zu schlafen, und erst mal darauf geachtet oder sogar gefragt, ob sein Interesse nicht nur ihrem Körper gilt, sondern auch ihrer Person, hätte sie ziemlich bald erkannt, dass dem überhaupt nicht so ist, und ihn als das enttarnt, was man einen Fuckboy nennt; als jemanden also, für den Frauen nur dazu da sind, seine Lust zu befriedigen, und dem die Emotionen, die dabei freigesetzt werden, prinzipiell lästig sind; fremde wie eigene. Tanja hätte ­Dario in der Folge cool abblitzen lassen und ihm damit zeigen können, dass man sich, wenn man mit einer Frau intim werden will, etwas mehr bemühen muss als ihr ein bisschen den Standard-Schmus zu bringen. Und genau so hätte sie ihm das auch sagen können.

Unser Autor, Thomas Meyer, muss häufiger Frauen trösten, die von Männern nichts mehr hören.

Die Folge von Feminismus

Tanja hat von Dario übrigens nichts mehr gehört. Er von ihr allerdings auch nicht: Auf meine Empfehlung hin, ihm ihren berechtigten Unmut über sein Verhalten mitzuteilen, hat sie nur abgewinkt – das bringe doch nichts, meinte sie, der werde doch bei der Nächsten das genau Gleiche machen. Das wird er, gewiss. Allerdings nur, weil Männer wie Dario von Frauen wie Tanja immer wieder in ihrer Haltung bestätigt werden, dass Frauen ebenso leicht zu bekommen wie zu entsorgen sind und hinterher auch brav den Mund halten. Männer wie Dario fühlen sich wie Einbrecher, für die man extra die Alarmanlage ausschaltet, weil sie so sexy sind, und die nie jemand bei der Polizei anzeigt, weil sie ja ­sowieso wieder klauen gehen.
Frauen sind selbst schuld, wenn sie sich schlecht fühlen, nachdem sie erst verführt und dann sitzen gelassen worden sind. Sie müssten ­ihrer seelischen Gesundheit zuliebe die Absichten ihrer Verehrer viel genauer prüfen. Darüber hinaus ist es aber auch ihre Schuld, wenn es den Frauen nach ihnen gleich ergeht. Denn im Kreise ihrer Freundinnen und im Internet ärgern sie sich zwar lauthals über die Kerle, die sie schlecht behandelt haben. Aber diese müssen nur höchst selten eine persönliche Beschwerde entgegennehmen und dadurch etwas aus ihrem Gebaren lernen. Männer würden sich gegenüber Frauen nie so schlecht benehmen, müssten sie mit sofortigen unangenehmen Konsequenzen rechnen. Sie würden keine oder deutlich ­weniger sexistischen Kommentare machen, sie würden nicht grapschen und nicht ghosten, wie man das schrittweise Verschwinden aus dem Leben eines Menschen bezeichnet, und sie würden weniger lügen und betrügen. Ganz einfach, weil sie es mit Frauen zu tun hätten, die sich nicht benutzen, demütigen, vernachlässigen und mit billigen Ausreden abspeisen liessen. Sondern mit solchen, die sich bei jeder Grenzverletzung angemessen wehren würden.
Aber Feminismus ist nicht etwas, was auf Instagram oder auf Demos stattfindet und somit aus der sicheren Distanz. Er muss offline stattfinden, im direkten Kontakt: auf der Strasse, im Büro, in der Bar, am Esstisch zu Hause. Feminismus bedeutet, klare Standards zu setzen und sie rigoros einzuhalten. In der Folge bedeutet Feminismus halt weniger Sex. Aber dafür solchen, der einem nicht die Seele kaputtmacht.

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