«Einstein könnte falsch gelegen haben»
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Astronom Oliver Müller (31):Dieser Schweizer Forscher widerlegt Albert Einstein

Interview mit Astronom Oliver Müller (31)
«Einstein könnte falsch gelegen haben»

Der junge Schweizer Astronom Oliver Müller bringt mit seinen Beobachtungen Einsteins Gravitationstheorie ins Wanken. Bei uns redet er über die Schönheit des Universums, wieso es eventuell einen Gott gibt und warum das Leben als Forscher so unsicher ist.
Publiziert: 12.04.2021 um 07:38 Uhr
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Aktualisiert: 16.04.2021 um 15:15 Uhr
Silvia Tschui

Blick: Herr Müller, wie wird man Astronom?
Oliver Müller:
Ich wusste nach dem Gymi überhaupt nicht, was machen. Ich war ein schlechter Schüler, in der Physik hatte ich einen knappen Vierer. Ich dachte dann, ich mach das Lehramt, mit Geschichte und, weil Mathelehrer gesucht sind, am besten zusätzlich Mathe.

Und dann?
Geschah ein glücklicher Zufall: Ich habe gemerkt, dass mir die Geisteswissenschaft gar nicht liegt, die Mathe aber sehr. Mir lag einfach dieses Schul-Lernen nicht. Für Physik hab ich mich eigentlich nur angemeldet, um aus einem Geschichtsseminar rauszukommen, und innerhalb des Physikstudiums habe ich einen astronomischen Beobachtungskurs belegt – da wars um mich geschehen. Und die Physik war dann plötzlich auch gar kein Problem mehr, weil das Lernen interessengesteuert dann sehr gut funktioniert hat.

Wenn Sie einem fünfjährigen Kind erklären müssen, was Sie forschen, was antworten Sie?
Uff. Moment, ich versuchs: Ich studiere Galaxien, das sind so Objekte im Universum, die Millionen und Millionen von Sonnen enthalten. Und ich interessiere mich dafür, wie die sich im Weltraum bewegen, und suche solche Objekte und beobachte sie dann. Und mich interessiert, ob diese Objekte sich so bewegen, wie wir uns vorstellen, dass sie sich bewegen sollten.

Oliver Müller ist Astronom. Er sitzt oft im Dunkeln und beobachtet mit massiven Teleskopen Zwerggalaxien.
Foto: STEFAN BOHRER
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Also, wie wir aufgrund unserer Theorien berechnen, wie sie sich bewegen sollten?
Genau.

Und? Tun sie das?
Eben nicht. Man hat aufgrund der bekannten Physik angenommen, dass sich Zwerggalaxien auf zufälligen Achsen chaotisch im Raum bewegen. Sie sind aber, wie ich in meiner Dissertation zeigen konnte, in einer Ebene einem rechten Winkel zu grossen Galaxien wie der Milchstrasse ausgerichtet.

Verzeihung, aber: Weshalb ist das wichtig?
Wissenschaft funktioniert doch so, dass man aufgrund bekannter Tatsachen ein Modell entwickelt. Und wir haben ein Modell, das sogenannte «Dunkle-Materie-Modell», basierend auf Albert Einsteins Gravitationstheorie. Solche einmal ausgeklügelte Modelle kann man dann heranziehen, um andere, unbekannte Dinge vorauszuberechnen. Nur bewegen sich Galaxien anders, als es dieses Modell nahelegen würde. Stimmt das Modell also nicht? Das wird mittlerweile als eines der grössten Probleme der Galaxienforschung bezeichnet.

Moment, Sie sagen also, Albert Einstein habe falsch gelegen?
Es ist zumindest eine Möglichkeit. Es kann sein, dass es dunkle Materie gar nicht gibt, und dann wäre Einsteins Gravitationstheorie widerlegt, zumindest auf der Grössenordnung von Galaxien.

Stichwort dunkle Materie: Was ist das überhaupt?
Niemand weiss es wirklich. Messungen zeigen aber, dass das Verhalten der Galaxien und der Sterne mit den bekannten Teilchen nicht erklärt werden kann. Es braucht also ein weiteres Teilchen. Man geht davon aus, dass dunkle Materie Teilchen sind, die nur Gravitation, also Anziehungskraft haben, aber nicht leuchten, also unsichtbar sind. Drei Viertel der Masse des Universums müsste eigentlich aus solchen Teilchen bestehen. Aber das ist nur eine theoretische Annahme. Man versucht, etwa am Cern in Genf, herauszufinden, ob es diese Teilchen gibt.

Am Cern wurde ja gerade ein neues Teilchen gefunden – hat das mit dunkler Materie zu tun?
Ich bin da noch extrem vorsichtig, überhaupt etwas zu sagen. Die Messungen müssen derart genau sein, da gibt es viel Spielraum für Fehler …

Was hat es eigentlich für den Normalbürger für einen Einfluss, ob es nun diese dunkle Materie gibt, oder nicht?
Im alltäglichen Leben kaum einen. Aber falls wir mal in die Weiten des Alls fliegen wollen, einen grossen.

Das müssen Sie bitte näher erklären!
Wenn man sich die Forschung und Technologie anschaut: Die Berechnungen, aufgrund derer GPS-Systeme, überhaupt Satelliten und Fernerkundung funktionieren, beruhen beispielsweise auf Einsteins Gravitationsgesetz.

Aber die funktionieren ja prächtig?
Ja, aber: Gäbe es einen Fehler in dem Gesetz, würde das auf die Distanz zwischen Satelliten und einer Strasse auf der Erde vielleicht einen Unterschied von ein paar Millimetern oder sogar Hundertstelmillimetern machen, ob nun die Formel stimmt oder nicht. Sie ist also genau genug. Wenn man sich nun Distanzen in der Raumfahrt ansieht, kann man dann aber mit einer falschen Gravitations-Formel plötzlich Tausende von Lichtjahren danebenliegen. Ich spreche hier aber von der Erkundung unserer Galaxie und nicht nur unseres Sonnensystems, das ist also noch weit weg vom heute Möglichen. Aber wir legen hier die Grundsteine, die vielleicht in ein paar Hundert Jahren wichtig sein werden.

Mit der Annahme, dass Einstein falsch gelegen haben könnte, stellen Sie das Lebenswerk vieler Physiker in Frage. Haben Sie deshalb viele Feinde?
Aus der Wissenschaft eigentlich nicht sehr. Wissenschaftler sind sich gewohnt, dass ihre Positionen hinterfragt werden, das liegt in der Natur der Wissenschaft. Aber ich werde, wie viele Wissenschaftler, immer mal wieder von Laien oder Halblaien angefeindet.

Echt, weshalb?
Viele fühlen sich beleidigt, wenn man etwas entdeckt, das ihren Überzeugungen widerspricht. Und viele haben das Gefühl, Wissenschaftler seien gut verdienende ältere Männer, die abgehoben von der realen Welt ihre Theorien entwickeln.

Stimmt das denn nicht?
Sehen Sie doch mich an: Der allergrösste Teil der Forschung wird von Leuten wie mir gestemmt: jung, idealistisch, mit zeitlich begrenzten Forschungsverträgen und deshalb mit massiver Unsicherheit, was die Zukunft betrifft. Man hat auf ein, zwei Jahre begrenzte Verträge und weiss, weder wo auf der Welt man hinziehen muss für einen neuen Forschungsauftrag, noch wo im nächsten Jahr der Lohn herkommt. Darum ist es auch so ärgerlich, wenn die Wissenschaft, wie jetzt auch bei Covid-19, von der Politik und anderen Meinungsmachern nicht ernst genommen wird: Wir kommen nämlich mit Selbstausbeutung, wenig Geld, viel Arbeit und Herzblut zu unseren Resultaten und chrampfen uns einen ab. So. Das musste mal gesagt sein.

Sie benutzen oft Teleskope und schauen in die Weiten des Universums. Glauben Sie, dass wir darin allein sind?
Ich habe dazu gerade einen Vortrag von einem der führenden Astrophysiker auf dem Feld gehört. Es müssen schon sehr, sehr viele Zufälle und Gegebenheiten aufeinandertreffen, damit nur schon einzelliges Leben entstehen kann: Temperatur, Abstand des Planeten zum Stern, Masse des Planeten, Vorhandensein eines Magnetfelds, chemische Zusammensetzung, Vorhandensein von Wasser … Das sind nur einige der vielen Voraussetzungen. Mir scheint es eher unwahrscheinlich, dass anderswo ähnliche Zivilisationen entstanden sind wie bei uns. Allerdings gibt es da draussen schier unendlich viele Sterne und Planeten …

Der Gedanke, dass wir doch die Einzigen sein können, könnte viele bestätigen, die gläubig sind. Sind Sie in irgendeiner Form religiös?
Nein, ich fühle mich den Agnostikern am nächsten. Ich glaube, dass es wahrscheinlicher ist, dass es keine irgendwie gestalteten Götter gibt. Ich will aber die Möglichkeit auch nicht ganz ausschliessen.

Kommen Sie sich angesichts dieser Weiten manchmal allein vor? Packt Sie das Grauen?
Gar nicht. Ich staune vielmehr über die Schönheit, die ich beobachten darf, und bin manchmal davon sehr ergriffen.

Was erscheint Ihnen, wenn Sie zurück in die Froschperspektive gehen, dann wieder am absurdesten auf Erden?
Dass wir Milliarden bereitstellen können, um auf den Mars zu fliegen, es aber nicht schaffen, unsere Probleme hier zu lösen und allen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Das ist einfach krank. Und das Potenzial, das so verloren geht, auch forschungs- und bildungsmässig, ist enorm.

Und was scheint Ihnen am absurdesten in der Schweiz?
Aus meiner Perspektive wäre ein Schnitt mit der EU katastrophal. Wenn wir zum Beispiel aus den bilateralen Verträgen austreten würden, wäre die Schweiz isoliert, was die Forschung betrifft. Und zwar gleich zweifach: Zum einen stünden EU-Forschungsgelder nicht mehr zur Verfügung, und da muss erwähnt werden, dass wir viel mehr Geld hereinholen als einzahlen. Zum anderen wäre auch der Austausch nicht mehr so einfach gegeben, das Renommee der Schweiz würde sehr leiden. Die Schweiz würde ihre Spitzenposition in der Forschung aufgeben. Das kann sich der Standort Schweiz auch wirtschaftlich nicht leisten. Aber die Wissenschaft hat leider kaum eine Lobby in der Politik.

Warum gibt es nicht mehr Wissenschaftler in der Politik?
Ich glaube, weil Wissenschaftler einfach brennend an ihrer Materie interessiert sind, und wie oben erwähnt, allermeistens unter nicht rosigen Bedingungen arbeiten. Sie hätten gar keine Zeit, in der Politik aktiv zu sein – ich auch nicht, obwohl ich mir das auch schon überlegt habe.

Woran wollen Sie in der Zukunft weiterforschen?
Ich arbeite derzeit daran, wie mit Hilfe künstlicher Intelligenz zukünftige Datensätze schneller ausgewertet werden können. Das wird in der Zukunft enorm wichtig, da einige Grossprojekte in den Startlöchern stehen, welche uns mit Daten überhäufen werden. Und ich will weiter Musik machen – ich spiele jeden Tag E-Gitarre und freu mich darauf, wenn ich mit der Band, die ich mit einem Schulfreund habe, wieder mal auftreten kann.


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