Anteil an Günstig-Angeboten schrumpft auf drei Prozent
Jetzt tut die Wohnungssuche richtig weh

Der Schweizer Mietwohnungsmarkt verschiebt sich markant: Immer weniger günstige Objekte sind im Angebot – dafür nehmen Luxus-Offerten zu.
Publiziert: 03.09.2023 um 00:08 Uhr
|
Aktualisiert: 10.02.2024 um 18:43 Uhr
Blick_Portrait_956.JPG
Danny SchlumpfRedaktor SonntagsBlick

Ab Oktober bezahlen eine Million Schweizer Haushalte fünf Prozent mehr Miete. Caritas betont: «Haushalte bis in den Mittelstand geraten in Bedrängnis.» Der Mieterverband ist alarmiert: «Da schlägt gerade eine soziale Bombe ein.» Und der oberste Zürcher Stadtammann warnt: «Es droht eine Kündigungswelle.»

Ganz anders Avenir Suisse: Alles halb so schlimm, verkündete die liberale Denkfabrik am Dienstag. Der Immobilienmarkt funktioniere. Eine «nachhaltige, landesweite Verteuerung der Mieten» sei nicht in Sicht.

Gestern nun sprach Martin Tschirren, Chef des Bundesamts für Wohnungswesen, im Blick ein Machtwort: Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage öffne sich weiter. «Bis 2026 sind Mietzinserhöhungen von über 15 Prozent möglich.»

In Moutier BE gibt es noch günstige Mietwohnungen.
Foto: Keystone
1/5

Fakt ist: Günstige Wohnungen sind schon heute Mangelware. Das zeigt eine neue Analyse von IAZI. Die Immobilien-Beratungsfirma hat für SonntagsBlick sämtliche Mietwohnungsangebote auf Schweizer Internetportalen ausgewertet – 94 700 Inserate seit Anfang 2023.

Gehobene Angeboten nehmen zu

Das Resultat: 2820 Objekte sind für eine monatliche Bruttomiete von höchstens 1250 Franken pro 100 Quadratmeter zu haben. Das sind gerade einmal drei Prozent. Wer eine günstige Wohnung sucht, kann 29 von 30 Angeboten gleich wieder streichen.

Knapp 40 Prozent der Inserate liegen im unteren mittleren Preisbereich zwischen 1250 und 2100 Franken Monatsmiete pro 100 Quadratmeter.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Zusammen umfassen diese beiden Kategorien 43 Prozent aller Inserate. Im Jahr 2021 waren es noch 51 Prozent.

Zugenommen haben dafür die gehobenen Angebote bis 2900 Franken, die teuren bis 3750 Franken und die nach oben offenen Luxus-Offerten. Ihr Anteil stieg in den letzten zwei Jahren von 49 auf über 57 Prozent.

«Es gibt an begehrten Lagen immer weniger bezahlbare Wohnungen», sagt Donato Scognamiglio, Verwaltungsratspräsident von IAZI. «Mit der Folge, dass sich die Bevölkerungsstruktur verändert. Die ärmeren und älteren Menschen werden aus den Zentren an den Rand gedrängt.»

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

In den Jura zum Beispiel, wo die angebotene durchschnittliche Monatsmiete bei 1500 Franken pro 100 Quadratmeter liegt. Auch in den Kantonen Neuenburg, Appenzell Ausserrhoden, Glarus und Schaffhausen ist Wohnen noch bezahlbar: Die dortigen Angebote liegen im Durchschnitt unter 1900 Franken.

Am anderen Ende der Skala stehen die Zentren. In Genf kosten 100 Quadratmeter 3433 und in Zug 3167 Franken – mehr als doppelt so viel wie im Jura. In Zürich sind es 2817 Franken.

«Wer kein dickes Portemonnaie hat, lernt besser Französisch»

Was heisst das für eine vierköpfige Familie auf der Suche nach einer günstigen Bleibe? Für eine 4,5-Zimmer-Wohnung zum Preis von höchstens 1250 Franken pro Monat findet sie in der ganzen Schweiz gerade einmal 400 Angebote. Am meisten davon gibt es im Kanton Zürich mit 76 Inseraten, aber nur ein einziges kommt aus der Limmatstadt selbst. Aus dem Kanton Bern kommen 51 Offerten, sechs davon aus der Hauptstadt. In der Stadt Basel sind acht günstige Offerten auf dem Markt, in Zug drei und in Luzern keine einzige.

Dafür gibt es im 176'000 Einwohner zählenden Kanton Neuenburg 25 Angebote, 14 allein aus La Chaux-de-Fonds. Dort gibt es eine Wohnung mit 125 Quadratmetern für 1200 Franken, ein Objekt mit 101 Quadratmetern für 1150 Franken oder eines mit 80 Quadratmetern für 1000 Franken. Auch in Le Locle NE gibt es neun günstige Objekte für die Familie.

Die höchste Trefferquote aber verzeichnet Moutier BE: In der 7300-Seelen-Gemeinde gibt es 16 Wohnungen mit 4,5 Zimmern für weniger als 1250 Franken im Monat. Hier sind 80 Quadratmeter für 810 Franken im Angebot, 90 Quadratmeter für 1000 Franken oder 100 Quadratmeter für 1245 Franken.

«Wer kein dickes Portemonnaie hat, lernt besser Französisch», sagt IAZI-Präsident Scognamiglio. Denn in den grossen Zentren ist der Ofen für preisbewusste Familien aus. Die Stadt Zürich führt die Liste im teuren Segment an, wo zwischen 3300 und 3750 Franken pro 100 Quadratmeter fällig werden: 1682 Wohnungen sind dort im Angebot. In Basel gibt es 719 solcher Objekte auf dem Markt, in Lausanne 628 und in Genf 599.

Die Preise verfehlen die Lebensrealität der Mehrheit

Mit 2455 Inseraten ist Zürich auch Spitzenreiter in der Luxus-Kategorie der Wohnungen über 3750 Franken pro 100 Quadratmeter. Jedes dritte Angebot kommt aus der Limmatstadt. In Genf sind 710 Luxuswohnungen auf dem Markt, in Lausanne 300 und in Basel 254.

In diesem Bereich werden Objekte offeriert, die der preisbewussten Familie wohl den Atem verschlagen: In Zürich gibt es eine Doppelstockwohnung mit 6,5 Zimmern auf 160 Quadratmetern für 26'565 Franken – pro Monat. In Genf ist eine 11-Zimmer-Wohnung mit 294 Quadratmetern für 16'000 Franken zu haben. Da wirkt die Luzerner Terrassenwohnung mit fünf Zimmern auf 195 Quadratmetern für 10'000 Franken schon fast wie ein Schnäppchen.

Mit der Lebensrealität der meisten Mieter haben solche Preise nichts zu tun. Rund ein Fünftel der hiesigen Bevölkerung lebt von einem Bruttoeinkommen unter 5000 Franken. «Für sie ist die Schmerzgrenze der Belastung erreicht», sagt Donato Scognamiglio.

Solange im Schweizer Wohnungsmarkt die Nachfrage das Angebot übersteigt, ist Besserung nicht in Sicht. Doch der Weg zum Gleichgewicht ist steinig. «Wir können schon morgen schneller und höher bauen», sagt Scognamiglio. «Wir können aufstocken, umnutzen und Einsprachen erschweren. Das alles ist möglich. Aber wir müssen es wirklich wollen – auch dann, wenn es vor unserer eigenen Haustür geschieht.»

Wann ist das der Fall? «Das ist eine Frage des Leidensdrucks», sagt Scognamiglio. «Noch sind wir nicht so weit.»

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?