Antisemitismus: Thomas Meyer rät
«Nicht die Kritik ist antisemitisch, vielleicht aber das Motiv dahinter»

Wieso wird man immer gleich als Antisemit verurteilt, wenn man Israel kritisiert?
Publiziert: 04.10.2019 um 18:03 Uhr
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Aktualisiert: 31.10.2019 um 11:20 Uhr

Lustig an dieser Diskussion ist ja, dass die Sache zwar so dargestellt wird, sich aber überhaupt nicht so abspielt. Tatsächlich wird Israel häufig kritisiert – aber die Verurteilung bleibt meist aus. Trotzdem wird pausenlos gejammert, man dürfe ja nichts mehr sagen, weil man sonst als Judenfeind dastehe. Es stellt sich also in erster Linie die Frage, warum ein derart ausgeprägtes Bedürfnis besteht, Israel zu kritisieren. Denn das ist gewiss nicht antisemitisch – das Motiv dahinter aber möglicherweise schon.

Israel hält Land besetzt, das ihm nicht gehört, und geht mit extremer Brutalität gegen alle vor, die sich dagegen wehren. Jeder, der das zum Kotzen findet, hat recht. Allerdings hat jeder unrecht, der so tut, als handle es sich hier um eine singuläre Ungeheuerlichkeit, die folglich etwas mit jenen zu tun haben muss, die sie erzeugen, also den Juden. Genau hier wird die Grenze von der politischen Diskussion zum Antisemitismus überschritten: wenn man Israel in der Überzeugung kritisiert, es gebe keine vergleichbare Schweinerei. Dabei existiert die gleich nebenan, wo die Russen ebenfalls Spitäler bombardieren. Dazu sagt aber nie einer was. Und schon gar nicht, dass man ja nichts gegen die Russen sagen dürfe.

Die Israelis verhalten sich problematisch, ja. Aber nicht problematischer als andere, sondern genau gleich brutal, skrupellos, selbstgerecht und destruktiv. Wer das kritisiert, hat zwar guten Grund dazu, muss sich aber sehr genau überlegen, warum er von allen Missständen in der Welt genau diesen für seinen Tadel auswählt. Er muss sich überlegen, ob das wirklich völlig unabhängig geschieht vom Umstand, dass für diesen Missstand Juden verantwortlich sind. Und warum er solche Angst hat, antisemitisch zu sein, wo die Diskussion angeblich ja gar nichts damit zu tun hat.

Autor Thomas Meyer nimmt Stellung zu Lebensfragen.
Foto: Thomas Meier
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