Das meint SonntagsBlick zu Corona
Ein Fehler im System

Die Pandemie als rein medizinisches Problem zu betrachten, ist nicht zielführend. Denn die Corona-Krise ist Resultat einer systemischen Fehlentwicklung: Nebst Medizin spielen Umwelt- und tiermedizinische Fragen eine mindestens genauso wichtige Rolle.
Publiziert: 08.08.2020 um 23:26 Uhr
SonntagsBlick-Reporter Valentin Rubin.
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Valentin Rubin

Die Pandemie stellt unsere Gesellschaft vor immense Herausforderungen. Vor einem halben Jahr war das Coronavirus noch eine abstrakte Gefahr aus dem Fernen Osten. Während Regierung und Bevölkerung die möglichen Auswirkungen von Sars-CoV-2 auf unser Leben noch zu begreifen suchten, war der Erreger schon in der Schweiz angekommen. Erst mit dem Lockdown Mitte März wurde allen klar: Das ist kein Spass!

Dabei war die Pandemie in höchstem Mass vorhersehbar. Zu diesem Schluss kommt ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Uno-Umweltprogramms Unep. Unsere Lebens­weise – so die Kernaussage – macht uns anfälliger für Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen überspringen.

Zunehmender Fleischkonsum, Massentierhaltung, Wildtierhandel, Urbanisierung, Rückgang der Bio­diversität – der Kontakt zu Tieren wird immer enger und unnatürlicher. Auch zu solchen, die für den Menschen gefährliche Erreger in sich tragen.

Es handelt sich um ein systemisches Problem. Die Erkenntnis aus dem Uno-Bericht ist eindeutig: Die Gesundheit der Natur und der Tierwelt ist aufs Engste mit der Gesundheit des Menschen verknüpft. Experten sprechen vom «One Health»-Konzept.

Diesem Zusammenhang kann nicht genug Bedeutung beigemessen werden: Gemäss Unep haben seit 1930 gut 75 Prozent aller neu auftretenden Infektionskrankheiten beim Menschen ihren Ursprung in der Tierwelt – Tendenz steigend! Beispiele gibt es genug: HIV, Ebola, Sars, Mers, Zika, Vogel- oder Schweinegrippe. Und eben auch Covid-19.

Wir sollten uns bei diesen Krankheiten von dem Gedanken lösen, es handle sich ausschliesslich um medi­zinische oder wirtschaftliche Probleme. Wenn sich Virologen und Epidemiologinnen streiten, mit welcher Strategie wir am besten mit dem Virus umgehen können, dann ist das Symptom­bekämpfung. Die ist zwar dringend nötig. Doch die Krise liegt tiefer. Um ihrer Ursache auf den Grund zu gehen – und damit eine künftige Pandemie zu verhindern – müssten wir uns dieser Diskussion stellen.

Denn das Streben nach mehr Tempo, schnellerem Wachstum und höherer Effizienz hat zur Folge, dass das Risiko eines Systemfehlers zunimmt. Krisenfester werden unsere Gesellschaften erst, wenn Vertreter aller relevanten Bereiche an einem Tisch sitzen – Epidemio­logen und Ökonominnen genauso wie Veterinärmediziner, Umweltwissenschaftlerinnen und Klimatologen.

Wir müssen den Systemfehler an der Wurzel packen. Sonst bekämpfen wir auch in Zukunft weiterhin nur die Symptome.

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