Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Ist doch logisch: Maskenpflicht im ÖV wegen Ansteckungen in Clubs

In der Clubszene kommt es zu vielen Corona-Ansteckungen. Klar, ordnet der Bundesrat da eine Maskenpflicht im ÖV an.
Publiziert: 04.07.2020 um 23:36 Uhr
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Aktualisiert: 09.07.2020 um 20:27 Uhr

Im Club ist es laut, im Club herrscht ein Durcheinander, die Schweiz ist ein Club.

In einer Ecke hängen ein paar Kantonsvertreter ab. Sie sind total entspannt. Schutzkonzepte für eine zweite Corona-Welle? Easy, die haben sie Ende August parat. Diese Zeitangabe jedenfalls hat die Bündner Kantonsärztin vor einer Woche im SonntagsBlick gemacht.

Jetzt betritt Natalie Rickli die Tanzfläche. Die Zürcher Gesundheitsdirektorin geht erst auf jene Partygänger los, die falsche Personalien hinterlegt haben und deswegen nicht in Quarantäne geschickt werden können. Gleich darauf rempelt sie den Bundesrat an, weil dieser ihr nicht gesagt hat, dass im Gewühl der Nachtclubs erhöhte Infektionsgefahr bestehe.

Gieri Cavelty, SonntagsBlick-Chefredaktor.

Ricklis Amtsvorgänger Fritz Ottiker war da schon besser informiert. Als im Sommer 1918 die Spanische Grippe grassierte, verordnete der damalige Zürcher Gesundheitsdirektor als erste Massnahme die vorübergehende Schliessung der Tanzlokale.Denn, das konnte man am 13. Juli 1918 in der «NZZ» lesen: «Sehr gefährlich ist der enge Verkehr der Menschen, wie er bei Tanzbelustigungen stattfindet.»

Gesundheitsminister Alain Berset steht derweil betont lässig an der Bar des Clubs und tut so, als ginge ihn das alles nichts an. Mit einem Male beschliessen er und seine Bundesratskollegen aber doch zu handeln. Nachdem es in der Clubszene zu vielen An­steckungen gekommen ist, verkünden die furchtlosen sieben eine Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr.

Ziemlich verrückt dieser Schweizer Corona-Club.

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Natürlich sollte man in einem gut besetzten Zug auch ohne behördlichen Befehl und Angst vor Strafe eine Maske tragen. Und im Vergleich zu den Entbehrungen des Lockdowns ist das Maskenobligatorium auch in leeren oder halb leeren Verkehrsmitteln als Einschränkung verschmerzbar.

Allerdings wäre die Akzeptanz der Maskenpflicht höher, hätte man sie mit Zahlen begründen können. Beim Bundesamt für Gesundheit jedoch kann man auf Anfrage nicht einmal sagen, ob es hierzulande überhaupt je zu einer Ansteckung im ÖV gekommen ist.

Vielleicht kennen Sie die Tee­party in Lewis Carrolls Kinderbuch «Alice im Wunderland». Weil der Hutmacher die Zeit ­totgeschlagen hat, bleibt es für ihn immer 5 Uhr. Der Ärmste muss darum ohne Unterlass seinen 5-Uhr-Tee schlürfen. Er und seine Kumpane finden aus dieser irren Party nicht mehr hinaus.

Wie lange mag unsere verrückte Party im Corona-Club andauern?

Noch eine ganze Weile, meint der Neuenburger Psychologie-professor Adrian Bangerter. Er erklärt: Sobald die Gefahr von Covid-19 für jeden konkret spürbar wird, lassen wir alle
Vorsicht walten und sind bereit, den Anweisungen der Behörden Folge zu leisten. Sind die Fall­zahlen dann wieder tief, wirkt die Gefahr abstrakt und wenigstens ein Teil der Menschen wird übermütig – und zwar genau so lange, bis die Gefahr abermals ganz konkret erscheint.

Mit dem Tanzverbot während der Spanischen Grippe übrigens war es auch so ein Hin und Her. Als die Zahl der Ansteckungen sank, lockerten die Behörden die Einschränkungen. Kam es vermehrt wieder zu Ausbrüchen, gab es neue Verbote. Zwei Jahre dauerte dieser Tanz damals.

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