Präsident des ETH-Rates Hengartner erklärt
Was ist eigentlich ein Virus?

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft. Diese Woche: Wie ein Virus funktioniert.
Publiziert: 25.04.2020 um 14:16 Uhr
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Aktualisiert: 22.05.2020 um 11:33 Uhr

Jetzt reden wir schon seit Wochen über nichts anderes. Aber was ist eigentlich ein Virus?

Am einfachsten, ich erkläre Ihnen zuerst, was eine Zelle ist. Eine Zelle ist eine kleine, lebende Fabrik. Sie verfügt über einen Bauplan (in DNA oder Genen festgehalten), und nach diesem Plan produziert sie alles, was sie braucht. Alle Zellen habe zwei grundsätzliche Eigenschaften: Sie haben einen aktiven Stoffwechsel, und sie können sich durch Zellteilung vermehren. Ein Virus ist viel kleiner als eine Zelle und viel einfacher aufgebaut. Es besteht bloss aus einem minimalen Bauplan (wiederum aus DNA oder aus der chemisch verwandten RNA) und einer Hülle. Auf dieser befinden sich kleine Protein-Häkchen. Mit diesen haftet sich das Virus an die Oberfläche einer Zelle an und versucht dann, seinen Bauplan (DNA oder RNA) in die Zelle zu schleusen. Gelingt ihm das, dann ist die Zelle infiziert und beginnt nun, nach dem Bauplan des Virus neue Viren herzustellen. Denn Viren haben keinen eigenen Stoffwechsel und brauchen daher Zellen, um sich zu vermehren. Bei Corona kann es zum Beispiel so laufen: Ich atme ein Virus ein, dieses befällt eine Schleimhaut-Zelle in meinem Rachen, die produziert nun selbst Viren, und die befallen weitere Rachenzellen. Bald schon trage ich Millionen Viren in mir, und wenn ich huste, werde ich selbst zur Virenschleuder!

Zurück zur infizierten Zelle: Manchmal geht in der Fabrik etwas schief. Der Bauplan wird nicht exakt kopiert, und es entsteht ein ganz leicht veränderter Virus: Das Virus ist mutiert.

Foto: Nathalie Taiana

Mutationen passieren unterschiedlich oft. Masernviren zum Beispiel mutieren kaum. Wer die Masern gehabt hat oder geimpft ist, kann nicht mehr infiziert werden. Das Immunsystem kennt das Virus und wehrt es ab. Grippeviren dagegen mutieren häufig. Unser Immunsystem muss sich darum jedes Jahr wieder auf die neuste Grippe-Version einstellen.

Viren sind Spezialisten: Ihre Protein-Häkchen setzen sich nur an passenden Oberflächen-Proteinen fest. Diese sind nicht auf allen Zellen vorhanden und beim Mensch und Tier unterschiedlich. Die meisten Viren-Arten können daher nur eine oder wenige, verwandte Spezies infizieren.

Gelegentlich kommt es aber vor, dass ein Virus so mutiert, dass es plötzlich auch Zellen einer anderen Spezies infizieren kann. Genau das ist beim Coronavirus Sars-Cov-2 geschehen: Dieses Virus, das auf Fledermäuse spezialisiert war, hat sich so verändert, dass es sich nun an Zellen unserer Atemwegsschleimhäute binden kann. Auch Sars, Mers, Ebola, Vogel- oder Schweinegrippe sind auf diese Art von Tieren auf uns übergesprungen. Und leider wird das auch in Zukunft immer wieder vorkommen.

Zum Schluss aber noch etwas Positives aus der Virenwelt. Ihre Fähigkeit, effizient in Zellen einzudringen, können wir uns zunutze machen. So werden bei Gentherapie – zum Beispiel in der Krebsbekämpfung – oft «gezähmte» Viren gebraucht, um heilende Gene in die Zellen von Patienten einzuschleusen. Das ist oft so: Mit genügend Wissen und Sorgfalt kann man sogar aus einer Gefahr einen Nutzen ziehen.

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