Fix zur Gesellschaft
Schlaflos in Schaan

Unsere Autorin ist auf Heimatbesuch. Schlafen kann sie da nicht, aber zum Glück helfen ihr die Kirchenglocken durch die Nacht.
Publiziert: 05.09.2021 um 17:43 Uhr
Alexandra Fitz

Die Glocke hat soeben zwei Mal geschlagen. Kein Wunder vermisste früher keiner das Smartphone im Schlafzimmer. Wer keinen Wecker hatte, hatte immer noch die Dorfkirche – und auf die war Verlass. Gestört hat mich das Geläute nie. Ich war es mir seit Kind an gewohnt. Es gehört zum Dorf.

Wie laut und störend so eine Glocke für manchen sein kann, merkte ich erst, wenn ich Freunde zu Besuch hatte. Sie störten sich über das laute Bimmeln und fragten mich, wie ich hier bloss schlafen könne. Mir war das ein Rätsel. Genau so ein Rätsel, wie wenn meine Freundinnen aus Nordrhein-Westfalen zu Besuch waren, aus dem Küchenfenster meiner Eltern schauten und direkt an eine von der Sonne beschienene Felswand blickten. Konkret sahen sie die Drei Schwestern. Diese Bergkette mit drei Gipfeln ist eine wunderbare Wanderung in Liechtenstein, aber nicht ohne. Deswegen war ich wohl auch nur einmal oben. (Pssst, nicht weitersagen.) Auf jeden Fall meinten die Besucherinnen: «Boah, ist das einengend mit so einem riesigen Berg.» – «Echt, findet ihr?», sagte ich überrascht. Ich finde dafür die Gegend bei ihnen befremdlich, nahe an der holländischen Grenze, ein Dorf so Flach wie ein Blatt Papier. Kein Hügel weit und breit. An Berge nicht zu denken. Wie man es kennt, dachte ich mir auch da.

Die Glocke hat soeben drei Mal geschlagen. Ich höre einen Raser, der eine Strasse entlang schiesst, die zu Kindheitszeiten noch gar nicht existierte. In einem Dorf erkennt man Veränderung viel deutlicher als in einer Stadt, wo man Fortschritt (oder Verschandelung) erwartet. Gibt es auf dem Land neue Überbauungen, Riesenkreisel und Betonshoppingcenter, ist es jedes Mal ein Stich in die Brust. Es ist wie ein Verrat am Ländlichen. An der Idylle, die man sich seit der Kindheit zu erhalten versucht.

Kirchenglocken: Des einen Freud, des anderen Leid.
Foto: Philippe Rossier

Fünf Mal hat es geschlagen. Nicht schlafen zu können ist reinste Folter. Man will, man will so sehr, dass es erst recht nicht geht. Vielleicht sollte ich nächsten Sommer mal wieder auf die Drei Schwestern? Vielleicht wäre das ein gutes Ziel? Ich warte, bis es sechs Mal schlägt ...

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