Frank A. Meyer – Die Kolumne
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Publiziert: 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 08:56 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Erich Gysling, populärer Patriarch der helvetischen Nahost-Analytiker, sieht Israels Bodenangriff auf den Libanon mit sorgenzerfurchter Stirn: «Die israelische Armee begibt sich in eine sehr heikle Situation.»

Sehr heikel?

Die Situation Israels ist seit seiner Gründung mehr als das: Dem feierlichen Akt am 14. Mai 1948 folgte noch in der Nacht der Angriff durch Ägypten, Transjordanien, Syrien und Irak.

Krieg ist seither die Wirklichkeit des jüdischen Staates: 1956 Suezkrise, 1967 Sechs-Tage-Krieg, 1973 Jom-Kippur-Krieg, 1982 Libanonkrieg, 1991 Golfkrieg, 2006 Libanonkrieg, 2009 Gazakrieg – und am 7. Oktober 2023 das Gazamassaker der Terrororganisation Hamas mit 1200 Toten und 240 jüdischen Geiseln, einige davon inzwischen ermordet.

Das «heikle» Schicksal Israels besteht aus einem fortwährenden Kriegszustand: Seit drei Generationen widerfährt der kleinen Nation durch ihre Nachbarschaft immer wieder neuer Vernichtungsterror. Das kleine Land, nur halb so gross wie die Schweiz, ist umgeben vom gewaltigen Raum geballter Macht des Islam.

Wie ist die Unduldsamkeit dieser Weltreligion gegenüber dem winzigen jüdischen Gemeinwesen zu erklären?

Zwei Welten und zwei Zeiten prallen aufeinander: die westliche Freiheits- und Fortschrittszivilisation auf die muslimische Religions- und Rückschrittsideologie, der aufgeklärte Westen auf die unaufgeklärte Doktrin der Gläubigen Mohammeds und Allahs.

Ein Aufprall der Jahrhunderte – im 21. Jahrhundert!

Die wissenschaftliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Weltspitzennation Israel inmitten einer historisch verspäteten Nationenwelt ist eine ständige Provokation – verglichen mit diesen Nachbarn: Ihnen gebricht es an jeder Modernität, abgesehen von den Nachahmungen einer durch Rohstoffreichtum ermöglichten Prosperität wie beispielsweise in den Emiraten oder Saudi-Arabien – Werkstätten eingekaufter Errungenschaften des Westens.

Diesen Westen, allen voran die mächtigen USA und ihren nahöstlichen Sendboten Israel, bezeichnet man dort voller Neid und Hass als «grosser und kleiner Satan».

Kleiner Satan? Eine heikle Identität – in der Tat.

So steht Israel seit gut 75 Jahren für alles, wofür, beispielsweise, die Schweiz steht: Freiheit, offene Gesellschaft, wirtschaftlichen Erfolg – und Wehrhaftigkeit. In dieser Disziplin ist der jüdische Staat sogar so etwas wie eine Weltmacht – und entschlossen, sich niemals besiegen zu lassen.

Welche andere Nation wäre nach einem Dreiviertel-Jahrhundert Kriegszustand noch eine durch und durch demokratische Gesellschaft?

Doch das tapfere Land im feindlichen Umland trägt, neben der westlichen Wertewelt, eine weitere Last: Israel ist die Heimstatt der Juden, die hier, auf angestammter Erde, ihren Fluchtort vor der Verfolgung gefunden haben – nach systematischer Vernichtung durch Nazi-Deutschland im Holocaust.

Israel – der einzige sichere Hort für die Juden der Welt!

War das jahrtausendealte Übel des Antisemitismus nach Abermillionen ermordeter Juden nicht endlich besiegt – oder wenigstens verfemt und tabuisiert? Der Berliner «Tagesspiegel» meldete am vergangenen Mittwoch: «Raketen auf Israel – Jubel in Berlin.»

Eine ganz und gar nicht ungewöhnliche Nachricht: Israelhass geht in Israels westlicher Mitwelt Hand in Hand mit Judenhass – auf dem Campus der Universitäten, in den Strassen der Städte, sogar schon in den Schulen. Und zwar nicht nur in der rechtsextremen Szene, nein, ganz besonders deutlich in der akademisch geprägten Kaste der linken Intelligenzia.

Endlich darf man wieder, was man sich so lange verboten hat, weil es als geächtet galt: sich öffentlich zur Judenfeindschaft bekennen.

Für die linksreaktionären Genossen ist Israelhass der neue Schlüssel zur ältesten Krankheit der westlichen Welt: Antisemitismus.

Kann ein Volk, kann eine Gesellschaft, kann eine Nation «heikler» leben als Israel?

Die Armee des von seiner Gründung an existenziell bedrängten Landes hat den schiitischen Terroristenführer Hassan Nasrallah eliminiert: in seinem Bunker tief unter der Erde, mitten in einem Beiruter Quartier, dessen Bewohner als Schutzschild zu dienen hatten. In der westlichen Staatenwelt beklagt man seither die zivilen Opfer und beschwört den Flächenbrand. Während die Uno proklamiert: «Der Kreislauf gegenseitiger Gewalt muss ein Ende haben!»

Israel und seine Vernichter – ist das «gegenseitige Gewalt»?

Es ist an der Zeit, dass für die Begriffe Israel und Juden einfach nur ein einziges Wort steht:

Wir.

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