Frank A. Meyer – die Kolumne
Bürger Bünzli

Publiziert: 13.08.2023 um 01:16 Uhr
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Aktualisiert: 13.08.2023 um 08:11 Uhr
Frank A. Meyer

Thierry Burkart ist 47 Jahre alt, Jurist, Ständerat aus dem Kanton Aargau, Präsident des Schweizer Freisinns – und sagt von sich selbst: «Ich bin ein Bünzli: ordentlich und pünktlich, und ich lege Wert darauf.»


Thierry Burkart legt Wert darauf, ein Bünzli zu sein!

Welcher Politiker würde wenige Monate vor den Wahlen ein solches Bekenntnis wagen? Wohl nur einer, der dem ganz gewöhnlichen Bürger einen ganz besonderen Wert beimisst – dem Bünzli, der auch als Spiesser zu bezeichnen wäre oder, ein wenig moderner, als «Normalo».

Um den Bünzli-Spiesser-Normalo dreht sich in der Politik gegenwärtig alles, nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa.

Wie das?

Mehr und mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger, die sich zum ganz gewöhnlichen Wahlvolk zählen, favorisieren äusserst rechte, rechtsnationalistisch oder rechtspopulistisch programmierte Parteien, Bewegungen, Politikerinnen: in Frankreich Marine Le Pen, in Italien Giorgia Meloni, in Deutschland Alice Weidel und deren AfD – Frauen, Frauen, Frauen. Es wären auch Männer aufzuzählen, die in Spanien oder Polen oder Österreich oder den Niederlanden den rechten politischen Rand verkörpern. In der Schweiz immer noch Christoph Blocher und die SVP, allerdings direktdemokratisch gemässigt.

Rechts aussen ist allerhand los. Zum Beispiel Modernität im Auftritt, verbunden mit reaktionären Inhalten. Das aber macht manchen wacker-konventionellen Demokraten Angst.

Der europäische Rechtspopulismus benennt die Probleme der Bürger vom Mittelmeer bis an die Ostsee, vom Atlantik bis nach Ostelbien – und bewirtschaftet sie mit patriotischer Polemik sowie mit wachsendem Erfolg.

Rechtspopulisten äussern sich – gerne aggressiv – in der Sprache der Bünzlis, der ganz gewöhnlichen Bürgerinnen und Bürger.

Gegen sie führen Linke und Grüne einen hochgestochenen «Diskurs», faseln vom «Mitnehmen» der «Menschen draussen im Lande» in ein multikulturelles Paradies, träumen vom politisch korrekt konditionierten Zeitgenossen, am liebsten mit Migrationshintergrund.

Also exakt von dem, was Normalos nie und nimmer ersehnen, weil sie Fleisch essen, Auto fahren und in die Ferien fliegen wollen – weil sie sich zu Hause fühlen möchten im demokratischen Rechtsstaat, dessen Wohlstand sie mit ihrer täglichen Arbeitsleistung garantieren.

Deshalb lieben ganz normale Bürger auch das wunderbar normale Wort Heimat, das die Grünlinken verachten.

Wo in dieser Auseinandersetzung waren bisher die liberalkonservativen Rechten zu hören? Die demokratisch-kultivierten Bünzli-Vertreter? Die Thierry Burkarts?

Nirgendwo, schon gar nicht als wohlklingender Chor, allenfalls als Solist, im Konzertsaal der Politik kaum zu vernehmen und deshalb wirkungs-schwach. Es fehlt ihnen die angemessene Tonalität. Sie sind so sprachlos, dass sie bisweilen sogar dem grünlinken Gendern verfallen, dieser abartigen Kunstsprache, mit der die Bünzlis ihrer ganz normalen Umgangssprache beraubt werden sollen: sprachlos gemacht – und damit in der politischen Debatte um alle Sprach-Macht gebracht.

Ja, die Demokraten der Mitte und rechts der Mitte, bis hinein in Kreise verantwortungsbewusster Populisten und Sozialdemokraten, brauchen dringend eine Sprache – eine intellektuelle Kultur, mit der sie der säkular-religiösen Litanei von grün-links und den Vulgaritäten von rechts aussen Paroli bieten können.

Thierry Burkarts Bekenntnis, ein Bünzli zu sein, ist ein wichtiger Schritt. Da sagt der Präsident der schweizerischsten Partei – der revolutionären Schweizpartei Freisinn! – den ganz gewöhnlichen Schweizerinnen und Schweizern:

Ich bin wie ihr.

Foto: Antje Berghaeuser

Das Bekenntnis des stets bescheiden auftretenden Aargauer Ständerats ist keine Anbiederung. Die Aussage fiel in einem völlig unpolitischen Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung».

Gerade deshalb ist sein Satz ein Satz, der die Politik von der Mitte bis nach rechts verwandeln könnte – müsste:

In eine Offensive, die aus den köchelnden Küchentisch-Themen eine Agenda der Vernunft werden lässt: Migration, Klima, Wirtschaft – in der Sprache des Bünzlis, dieser Geradeheraus-Sprache, der Sprache der Demokraten.

Dabei geht es nicht darum, jederzeit in allem und à tout prix recht zu haben. Es geht darum, gegen jene anzutreten, die sich mangels Widerworten ihrerseits in dem Selbstgefühl suhlen, jederzeit und à tout prix recht zu haben.

Wer bildet die Substanz der Demokratie?

Bürger Bünzli.

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