Frank A. Meyer – die Kolumne
Castingshow

Publiziert: 12.11.2023 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 12.11.2023 um 16:13 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Ein fröhliches Treiben hat die Schweizer Sozialdemokraten erfasst. Die Anwärter auf eine Bundesratskandidatur – also die Anwärter auf die Anwartschaft, von ihrer Fraktion als Bundesrat oder Bundesrätin vorgeschlagen zu werden – sind dieser Tage auf Vorstellungstour zu besichtigen.

Dabei soll es möglichst ungezwungen zugehen: Aus einem Säcklein wird der Name des jeweiligen Kandidaten-Kandidaten gezogen, der oder die dann Fragen der Moderatorin beantworten muss: Wie hält es der oder die Hervorgezauberte mit der Armee, mit der Neutralität, mit dem Klima – was eben so ansteht. Irgendwie niedlich, das alles.

Die Vorgeführten sind Parlamentarier, Regierungsrät*innen, Fraktionspräsidenten – bewährtes Demokratiepersonal, nun aber von Genf bis Schaffhausen zum politischen Schönheitswettbewerb genötigt.

Die «Castingshow» der ältesten Partei der Schweiz.

Ja, die SPS, der politische Arm der Arbeiterbewegung, veränderte über Generationen die Schweiz zum Besseren – und damit zum Guten. Sie war Heimat der Bürgerinnen und Bürger, denen es um etwas ging. Sie meinte es ernst mit ihrer demokratischen Kultur. Und wurde deshalb auch ernst genommen – als Partei von historischer Dimension.

Wäre diese Partei einst auf die Idee gekommen, Persönlichkeiten von Bundesratsrang auf Schweizreise vorzuführen? Willi Ritschard beantwortet, nachdem sein Name aus einem Säcklein gezaubert wird, brav Fragen zur Lage der Nation und der Welt? Hans-Peter Tschudi steht einem Genossen Quizmaster Red und Antwort? Willy Spühler befleissigt sich auf Befehl eines gewinnenden Auftritts? Otto Stich springt beflissen übers hingehaltene Stöcklein?

Und erst Pierre Graber, Genosse Monsieur, die Regierungsautorität aus dem Waadtland, marschiert folgsam über den Kandidaten-Laufsteg, in die Zirkusarena, um Genossen zu umgarnen?

Allein die Vorstellung ist grotesk.

Wo ist die Sozialdemokratische Partei der Schweiz gelandet? Die Bundesratsnachfolge von Alain Berset verballhornt zur Catwalk-Parade. Wer ist der SchönsteSchnellsteSchlagfertigste?

Die Bundesratskür als Jekami.

Selbst der Verzicht ist da noch Anlass für einen bedeutungsschweren Auftritt: Ich trete nicht an – also bin ich schon ein bisschen Bundesrat. Marketingbewusst haben Cédric Wermuth, Mattea Meyer, Tamara Funiciello, Fabian Molina, Mustafa Atici ihre Nicht-Kandidatur erklärt.

Wer hat noch nicht, wer will noch mal?

Die Bestallung des Bundesrates: eine studentische Lustbarkeit. Die Inszenierung der Kandidaten: eine Kinderei. Die Partei der grossen Gestalter: gekidnappt von Hörsaaljugend. Die Quintessenz:

Infantilismus.

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