Frank A. Meyer – die Kolumne
Ernstfall

Publiziert: 02.02.2020 um 11:40 Uhr
Frank A. Meyer

Susanne Brunner darf ihre Vorstösse im Zürcher Stadtparlament jetzt wieder so formulieren, wie sie möchte. Zum Beispiel darf sie «Besetzer» sagen statt «Besetzerinnen und Besetzer», wie es ihr das Büro des Gemeinderates vorzuschreiben versucht hatte.

In der Volksvertretung der grössten Schweizer Stadt gilt Gender-Deutsch als verbindliche Sprache. Diesem Gebot verweigerte sich die SVP-Politikerin. Prompt wurde ein Vorstoss von ihr als nicht behandlungswürdig abgelehnt.

Dagegen rekurrierte Susanne Brunner. Und der Bezirksrat erklärte die linksgrüne Sprachregelung für ungültig: Sie entbehre jeder rechtlichen Grundlage. Der Gemeinderat muss der SVP-Frau 4500 Franken Anwaltskosten bezahlen, zudem die Prozesskosten von 1800 Franken.

Die Sprachpolizei im Zürcher Gemeinderat ist somit abgeschafft.

Aber ist der Fall erledigt?

Die Zürcher Grünen können sich mit der Freiheit des Wortes in der freien Gesellschaft nicht abfinden. Auf den Spruch des Bezirksrats reagierten sie mit der Erklärung: «Offenbar war es illegal, die Bestimmung so in dieser Form festzuhalten. Dann ändern wir das eben.»

Die Sprachpolizei soll also erneut für Gender-Ordnung sorgen!

Nicht nur in Zürich, in der Schweiz, in Europa ist die Grüne Partei eine Bewegung der Verbote. Vom Autoverbot übers Fleischverbot zum Flugverbot ist die anmassende Utopie-Moral der autoritär gestimmten Grünen gespickt mit Verbotsideen.

Ja, die erfolgreiche Umweltpartei ist als Demokratie-Partei nicht verlässlich. Wer Volksvertretern die Arbeit untersagen will, wenn sie sich nicht einer ideologisch verquasten Sprache bedienen, der verdient die Qualifikation «demokratisch» nicht.

Freilich, es gibt Mittäter. Sie sind vorwiegend auf der Linken der Sozialdemokratie zu finden. Gemeinsam mit den Grünen hatten sie die Zürcher Sprachdiktatur ins Werk gesetzt.

Was bei den Grünen nicht erstaunt, schockt bei den Sozialdemokraten. Sie waren in der Geschichte die unerschütterlichen Garanten von Freiheit und demokratischem Rechtsstaat.

Als einzige Partei stimmten sie in Deutschland am 23. März 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz, das Hitler die totale Macht verschaffte. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Otto Wels schmetterte dem Nazi-Führer den Satz entgegen: «Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht!»

Weiss Gott, im Vergleich zu damals sind die Zeiten heute harmlos. Aber ist die sozialdemokratische Verpflichtung zu höchster Sensibilität für Demokratie und Rechtsstaat deshalb geringer?

Nein, das Verhalten der ehrwürdigen Freiheitspartei im Zürcher Streit um politisch korrekte Sprache ist ein Alarmzeichen: Dass Gender-Ideologie vor dem Recht auf freie Mandatsausübung rangiert – so etwas dürften die Genossen niemals dulden, geschweige denn befürworten, wie sie es in Zürich taten.

Ebenfalls aus Zürich war vor kurzem ein weiteres Beispiel eklatanter antidemokratischer Verirrung zu vernehmen: SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr lancierte die Abschaffung des gleichen Wahlrechts für jeden Bürger: Es könnten doch, so die Genossin, künftig die 18- bis 40-Jährigen mit je zwei Stimmen ausgestattet werden, die 40- bis 65-Jährigen mit anderthalb und die über 65-Jährigen mit nur noch einer Stimme.

Wer so etwas in Erwägung zieht, zunächst per Facebook-Post, dann in der Presse, der hat in der SPS nichts verloren. In der Zürcher Sozialdemokratie aber offenbar durchaus: Eine Diskussion über Fehr fand nie statt.

Es ist in den Medien üblich, linksgrüne Verstösse gegen Grundsätze der demokratischen Ordnung, aber auch gegen Grundsätze der demokratischen Kultur mit Nachsicht zu betrachten – wenn man sie denn überhaupt zur Kenntnis nimmt. Ganz anders sieht die Sache aus, wenn solche Verstösse von Rechtspopulisten stammen. Da ist man auf der Wacht, schreit Zeter und Mordio.

Der Fall Fehr war ein Lehrstück über linke Demokratiefeindlichkeit. Die Zürcher Sprachpolizei ist der demokratiefeindliche grün-linke Ernstfall.

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