Gopfried Stutz
Warum die Eintrittsschwelle hoch bleibt

Die 2. Säule ist eine Versicherung für morgen – und für heute: Bei Erwerbsunfähigkeit gibts nicht nur eine IV-Rente von der 1. Säule, sondern zusätzlich auch eine Rente von der 2. Säule.
Publiziert: 18.03.2023 um 20:18 Uhr
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Claude ChatelainKolumnist und Wirtschafts-Publizist

Nach mehreren Anläufen haben es die Bürgerlichen doch noch geschafft, sich auf einen Kompromiss zu einigen und in der Schlussabstimmung vom Freitag die Revision zum Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) zu verabschieden. Linke Parteien werden dagegen das Referendum ergreifen. Das haben sie angekündigt, noch bevor klar war, wie die Gesetzesänderungen aussehen werden.

Ich beschränke mich hier auf die Eintrittsschwelle. Das war ein umstrittener Punkt, bei dem sich National- und Ständeräte nach mehreren Debatten und Differenzbereinigungsverfahren nicht zu einigen vermochten. Erst am Mittwoch bei der Einigungskonferenz, bei der sich Mitglieder beider Sozialkommissionen zusammenraufen, hat man einen Kompromiss gefunden.

So wird die Eintrittsschwelle von heute 22'050 nur minim auf 19'845 Franken gesenkt. Das heisst, dass nur Personen ab diesem Jahreseinkommen in der beruflichen Vorsorge, der 2. Säule, obligatorisch zu versichern sind.

Die Eintrittsschwelle für die 2. Säule wird nur minim auf 19'845 Franken gesenkt. Das ist für manche bedauerlich.
Foto: Keystone
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«Wenn man die Situation der Frauen verbessern will, muss man tiefere Einkommen versichern», sagte Erich Ettlin von der Mitte-Partei, Präsident der ständerätlichen Sozialkommission. Gerade deshalb wollte der Nationalrat in seiner ersten Lesung vor Jahresfrist den Mindestjahreslohn sogar auf 12'863 Franken senken. Schliesslich habe man im Herbst vor der AHV-Abstimmung versprochen, in der 2. Säule etwas für die Frauen zu tun.

Nun ist es offenbar so, dass viele Tieflohnbezüger und damit auch Frauen eine tiefe Eintrittsschwelle gar nicht wollen. Dies zumindest sagen linke Politikerinnen. Sie kämpften dagegen, dass Personen mit bereits tiefen Einkommen noch Lohnabzüge in Kauf nehmen müssten, nur um in ferner Zukunft eine minimale Rente zu erhalten.

Dies zur Freude des Gewerbes: Je tiefer die Eintrittsschwelle, desto mehr Personen sind im BVG obligatorisch versichert, desto teurer kommt das den Arbeitgebenden zu stehen. Bei einem Mindestjahreslohn von 12'863 wären 340'000 Personen zusätzlich obligatorisch versichert worden. Der administrative Zusatzaufwand wäre enorm gewesen, war etwa zu hören. Jetzt werden es zusätzlich bloss 70'000 Personen sein, die obligatorisch im BVG versichert sein werden. Sie profitieren nicht nur von einer höheren Rente im Alter und von Arbeitgeberbeiträgen, sondern sind auch gegen Erwerbsunfähigkeit versichert.

Gerade dieser Punkt geht gerne vergessen und war in den Debatten kaum ein Thema: Die 2. Säule ist nicht nur eine Versicherung für morgen, sprich fürs Alter. Sie ist auch eine Versicherung für heute. Bei einer Erwerbsunfähigkeit gibt es nicht nur eine IV-Rente von der 1. Säule, es gibt zusätzlich auch eine Rente von der 2.

Man mag die anhaltend hohe Eintrittsschwelle bedauern. Positiv ist, dass dadurch die Absturzgefahr verkleinert wird. Je tiefer der Mindestjahreslohn, desto grösser die Gefahr, dass neben den Linken auch das Gewerbe die BVG-Revision ablehnen wird.

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