Kolumne «Alles wird gut» über die trügerische Hoffnung
Regenbogen des Lebens

Die Hoffnung als Tugend ist überschätzt. Sie kann quälen, unglücklich machen und als Instrument eingesetzt werden. Und sie ist oft der einzige Ausweg.
Publiziert: 04.12.2023 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 03.12.2023 um 18:31 Uhr
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Ursula von ArxJournalistin und Buchautorin

Es stimmt ja, dass die Hoffnung keine Moral kennt. Alle dürfen hoffen, alles Mögliche wird erhofft, auch Kleinherziges, ja abgrundtief Böses: Hoffentlich frisst sich der kläffende Nachbarshund bald mal zu Tode! Und die Arbeitskollegin, die einem das Gefühl gibt, der letzte Trottel zu sein, sie möge vermodern, innerlich wie äusserlich! Wer voll ist mit solchen Unerträglichkeitsgeschichten, hofft auf eine Erlösung, selbst wenn sie auf Kosten anderer geht. Es hoffen auch Vergewaltiger, Terroristen, Diktatoren, dass sie über Leichen gehen können, ohne darüber zu stolpern.

Dass Hoffnung als Tugend überschätzt wird, ja sogar hoffnungslos unglücklich machen kann, bestätigt eine Studie, die die Lebenszufriedenheit von Langzeitarbeitslosen untersuchte: Diese nahm signifikant zu, als jene das Pensionsalter erreichten. Warum? Weil sie jetzt endlich nicht mehr den Druck verspürten, gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen, die sie nicht erfüllen konnten. Weil sie nicht mehr hoffen mussten.

Sogar in der Liebe wird die Hoffnung als Disziplinierungsinstrument eingesetzt: Der Angebetete streut seine Zuneigung so dosiert, dass das Flämmchen der Hoffnung bei der Anbetenden nie ganz erlischt, aber auch nie erstarken kann, und diese ohne Abwehrkräfte gefügig bleibt. Dieses Gängelnde der Hoffnung betonte auch Friedrich Nietzsche: Sie mache, so der deutsche Philosoph, dass der Mensch trotz aller Übel «das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre, sich immer von neuem quälen zu lassen». Deshalb sei die Hoffnung «in Wahrheit das Übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert».

Der Philosoph Friedrich Nietzsche beschrieb die Hoffnung als den «Regenbogen über den herabstürzenden jähen Bach des Lebens».
Foto: imago images/Jan Eifert
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Doch selbst Nietzsche sehnte sich nicht nach einem hoffnungslosen Dasein. Er beschrieb die Hoffnung ausserdem als den «Regenbogen über den herabstürzenden jähen Bach des Lebens, hundertmal vom Gischt verschlungen und sich immer von neuem zusammensetzend, und mit zarter schöner Kühnheit ihn überspringend, dort, wo er am wildesten und gefährlichsten braust».

Manchmal hilft eben nur das Hoffen, manchmal gegen alle Wahrscheinlichkeit und gegen alle Vernunft, dass sich ein Ausweg zeige, Zufälle ineinandergreifen, ein Wunder geschehe, ein Gott sich erbarme: Hoffentlich kommt er pünktlich! Hoffentlich können die Korallenriffe gerettet werden! Hoffentlich gibt es bald den Weltfrieden!

Die alten Römer fanden dafür eine knappe Formel: «Dum spiro spero», solange ich atme, hoffe ich. Alles wird gut.


Ursula von Arx war in ihrem Leben bis jetzt nicht allzu oft auf Hoffnung angewiesen. Und hofft, dass dies so bleibt. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick. 

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