Kolumne «Wild im Herzen»
Gefährliche Streicheleinheiten

Heuschreckenplagen kommen schon in der Bibel vor. Ihr Ausmass ist gigantisch, wie derzeit in Ostafrika zu sehen ist. Warum rotten sich die Tiere eigentlich zusammen?
Publiziert: 13.02.2020 um 23:16 Uhr
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Aktualisiert: 14.02.2020 um 09:04 Uhr
Simon Jäggi, Mitarbeiter Naturhistorisches Museum Bern.
Foto: Thomas Buchwalder
Simon Jäggi

Gregäres Verhalten – in den letzen Tagen ging es in den News oft darum, auch wenn der Fachbegriff selten gefallen ist. Er wird bei Individuen verwendet, die alleine leben, sich aber unter gewissen Umständen zu einer Herde oder einem Schwarm zusammenrotten. Und das kann dramatische Folgen haben.

Gemeint sind die Schwärme der Wüstenheuschrecken, die derzeit durch Ostafrika ziehen. In ohnehin ärmlichen Ländern wie Somalia drohen sie Hungersnöte auszulösen. Die Wüstenheuschrecke ist eine von zehn Heuschreckenarten, die zu gregärem Verhalten neigen – dabei aber die gefährlichste. Ihre Schwärme bedrohen potenziell etwa 20 Prozent der Erdoberfläche.

Ausruhen auf dem toten Artgenossen

In Kenia wurde in diesen Tagen ein Schwarm beobachtet, der sich über 2400 Quadratkilometer ausbreitet. Und das bei einer Dichte von bis zu 1000 Tieren pro Quadratmeter Ein Quadratkilometer der Insekten vertilgt an einem Tag so viel wie 35'000 Menschen. Die Schwärme können weite Strecken zurücklegen. 1988 schaffte es ein Schwarm von Westafrika sogar in die Karibik. Die Heuschrecken ruhten sich jeweils auf ihren ertrunkenen Artgenossen aus und schafften so die über 7000 Kilometer lange Strecke über den Atlantik.

Ein neues Phänomen ist das nicht: Als achte Plage tauchen die Heuschrecken schon in der Bibel auf. Dass die Wüstenheuschrecke plötzlich gregäres Verhalten aufweist, wird mit einer hohen Dichte von Jungtieren (sogenannten Nymphen) auf engem Raum ausgelöst. Durch ständigen Körperkontakt wird eine gewisse Zahl an Berührungsreizen pro Zeiteinheit überschritten, was die Produktion des Hormons Serotonin auslöst. Im Labor gelang es Forschenden, mit Pinseln die nötige Anzahl Berührungsreize zu entschlüsseln.

Hilfe von Schulkindern und Hühnern

Auch in der Schweiz bildeten sich in der Vergangenheit schon grössere Schwärme der verwandten Europäischen Wanderheuschrecke, die heute in kleiner Zahl noch im Wallis und im Tessin vorkommt. 1875 konnten die Behörden im Rheintal verheerende Schäden durch rasches Reagieren verhindern. Schulkinder wurden abkommandiert, um die noch flugunfähigen Nymphen in ausgehobenen Gruben zusammenzutreiben. Zudem wurden sämtliche verfügbaren Hühner aufgetrieben, welche die Insekten vertilgten.

Womit einmal mehr bewiesen wäre, dass das Huhn der beste Freund des Menschen ist.

Simon Jäggi (39) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Wissenschaftlicher Rat: Prof. Christian Kropf. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.

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