#aufbruch mit Patrizia Laeri
Kindermund tut Wahrheit kund

Keiner Generation zuvor in der Geschichte wurden so viele Probleme hinterlassen wie den Jungen von heute. Sie haben jedes Recht, wütend zu sein. Und von den Mächtigen ernst genommen zu werden.
Publiziert: 21.01.2020 um 23:27 Uhr
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Aktualisiert: 22.01.2020 um 08:50 Uhr
Kolumnistin Patrizia Laeri über unbequeme Aussagen von Kindern.
Foto: Thomas Buchwalder
Patrizia Laeri

«Mama, du bist handysüchtig. Mama, du fluchst. Mama, du machst die Erde kaputt.» Oft fühlt sich Elternsein an wie eine Wohngemeinschaft mit Moralaposteln. Kinder sagen Dinge, die leider stimmen. Dinge, die Erwachsene aber nie sagen würden und schon gar nicht hören wollen. Kindermund tut Wahrheit kund.

Kinder haben schon immer unbequeme Wahrheiten ausgesprochen. Junge haben seit jeher gegen alte Systeme rebelliert. Kinder und Jugendliche haben heute aber erstmals in der Geschichte mobile Megafone, mit denen sie die ganze Welt erreichen. Erstmals können sie so von Hunderten Millionen Menschen gehört werden – bis hinauf in die Chefetagen und Präsidentenpaläste. Greta Thunberg folgten vor einem Jahr auf Twitter gerade mal 160'000 Menschen, heute bereits vier Millionen. Auf Facebook und Instagram sind es rund 13 Millionen.

Kinder auf der Weltbühne

Sie hat mehr Anhänger als die meisten Staatspräsidenten. Das Internet hat die Spielregeln verändert. Die Macht der sozialen Medien verleiht auch Kindern Macht. Sie gibt ihnen erstmals so viel Gewicht, dass sie auf wichtige Weltbühnen eingeladen werden. Das WEF hat noch nie so viele junge Menschen eingeladen. 120 werden das Forum aufrütteln, darunter zehn Kinderaktivisten.

Diese Kinder sind wütend. Und sie haben gute Gründe, wütend zu sein. Die Klimakrise betrifft sie direkt. Ihr Zuhause wurde weggeschwemmt, das Meer vor der Haustür mit Plastik verschmutzt, Tiere durch Pestizide oder das Trinkwasser durch die Öl-Industrie verseucht. Zum Beispiel jenes der Kanadierin Autumn Palatier, die mit acht Jahren zur Aktivistin wurde. In Kanada haben viele indigene Völker keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Pipelines haben natürliche Wasserreservoirs verschmutzt. In den USA haben mittlerweile viele wütende Kinder ihre eigene Regierung verklagt.

Müllberge, Schuldenberge

Keiner Generation zuvor in der Geschichte wurden so viele Probleme hinterlassen. Seien es die verdreckte Umwelt oder Schuldenberge. Auch ist der soziale Aufstieg viel schwieriger geworden. Den Babyboomern gehörte mit 35 Jahren mehr als ein Fünftel des ganzen Vermögens, den Millennials – die im Durchschnitt noch nicht ganz 35 sind – zurzeit gerade mal drei Prozent. Schuld daran sind auch Löhne, die seit Jahren nicht mehr steigen, schon gar nicht bei den jungen digitalen Freelancern.

Unter den Kinderaktivisten sind auffällig viele Mädchen. Viele dieser Mädchen betonen, dass auch Gleichberechtigung eine Klimalösung sei. Sie weisen darauf hin, dass immer noch 130 Millionen Mädchen auf der Welt nicht zur Schule gehen. Gebildete Mädchen nutzen natürliche Ressourcen auf den Feldern aber besser und schonender, heiraten später und haben weniger Kinder. Weniger Menschen heisst weniger Emissionen.

Generationen am selben Tisch

Klaus Schwab hat die Kinder ans Wirtschaftsforum eingeladen. Siemens-Chef Joe Kaeser hat der «deutschen Greta», Luisa Neubauer, einen Sitz im Verwaltungsrat angeboten. Dafür werden beide kritisiert oder belächelt. Das ist kurzsichtig. Sie haben das Richtige getan. Kinder gehören mit an den Tisch, an dem Entscheide gefällt werden. Nur zusammen lässt sich ein Konflikt zwischen den Generationen verhindern. #aufbruch

Patrizia Laeri (42) ist Wirtschaftsredaktorin und -moderatorin von «SRF Börse» und «Eco» sowie Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch für BLICK.

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