Ich habe geweint. Er hat sich geschämt
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BLICK über Kapitol-Sturm:Ich habe geweint. Er hat sich geschämt

BLICK auf die USA: US-Korrespondent Nicola Imfeld über den Sturm der Trump-Anhänger auf das Kapitol
Ich habe geweint. Er hat sich geschämt

Jede Woche schreibt USA-Korrespondent Nicola Imfeld in seiner Kolumne über ein Thema, das jenseits des Atlantiks für Aufsehen sorgt. Heute geht es um den Sturm der Trump-Anhänger auf das Kapitol in Washington.
Publiziert: 07.01.2021 um 12:32 Uhr
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Aktualisiert: 19.01.2021 um 08:23 Uhr
Nicola Imfeld, USA-Korrespondent der Blick-Gruppe.
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Nicola Imfeld aus San Diego (USA)

Am Mittwoch, 6. Januar 2021, haben wir in Amerika Historisches erlebt. Ein trauriger Tag, den wir nie mehr vergessen werden. Anhänger von Donald Trump (74) haben das Kapitol gewaltsam gestürmt, für rund eine Stunde in Beschlag genommen. Angestachelt vom Wahlverlierer und Noch-Präsidenten höchstpersönlich – dem Anführer der «freien Welt». Vier Menschen kommen ums Leben. Es ist ein Angriff auf die älteste Demokratie der Welt – von Bürgerinnen und Bürgern eben dieses Landes.

Die Bilder haben mich getroffen. Die Schmerzgrenze nach vier Jahren Trump und all den politischen Skandalen ist hoch. Aber wenn mit dem Kapitol das Herzstück der amerikanischen Demokratie gestürmt wird, dann wird einem jäh bewusst: Dieses Leben, das wir im Westen seit Jahrzehnten geniessen und zelebrieren, ist nicht selbstverständlich. Und vielleicht nicht für immer da. Eine Feststellung, die schockiert.

«Warum habt ihr uns zur Weltmacht werden lassen?»

Meinen Freunden erging es gleich. Noch nie zuvor haben sich so viele Bekannte und Weggefährten der letzten Jahre – jung und alt, progressiv und konservativ – gemeldet.

Mein total unpolitischer Mitbewohner beispielsweise, der sich keinen Deut um die US-Wahlen geschert hat, legte seine Arbeit im Homeoffice nieder. Für Stunden! Ungläubig sass er vor dem TV-Bildschirm im Wohnzimmer. «Warum habt ihr uns zur Weltmacht werden lassen?», fragte er und stellte gleich fest: «Wir verdienen es nicht!»

Als Ausländer wird einem in Amerika nach einem Trump-Skandal immer wieder die Frage gestellt, was denn «die Leute in deinem Land von uns denken». Sie kennen die Antwort. Sie ist ihnen peinlich.

Amerikas Image liegt brach

Mein Grossvater hat mir mal gesagt, dass er den USA ein Leben ohne Krieg verdanke. Er hat Amerika und deren Präsidenten zwar nie verehrt – aber die Verdienste anerkannt und geschätzt. Wie wohl so viele andere Schweizerinnen und Schweizer auch.

Heute aber ist mein Grossvater nur noch traurig, wenn wir am Telefon über das Land sprechen. In den letzten Jahren immer wieder die Fragen: «Warum wählen diese Amis Trump? Warum ist er noch nicht abgesetzt geworden? Wohin führt das alles?» Auch das deckt sich: 76 Prozent der Schweizer sagen, dass das Ansehen der USA unter Trump gelitten hat. Der US-Präsident ist unbeliebter als die Autokraten von Russland, Iran oder China.

Die amerikanische Zukunft ist düster

Gerne würde ich positiv in die amerikanische Zukunft blicken. Die grosse Sorge aber ist, dass es zuerst noch schlimmer werden muss, bevor es irgendwann wieder aufwärtsgehen kann. Trump wird das Weisse Haus am 20. Januar verlassen. Die Spaltung im Land wird bleiben.

Viele der 74 Millionen Trump-Wähler haben sich diesem Mann verschrieben. Dabei geht es schon lange nicht mehr um rechte oder linke Politik; ob die Steuern gesenkt oder erhöht werden, ob Trumps Handelsstreit mit China sinnvoll ist oder nicht.

Es geht ums Grundsätzliche: Wollen wir einem narzisstischen Mann mit diktatorischen Zügen das Weisse Haus überlassen oder einen Präsidenten haben, mit dem wir politisch nicht einverstanden sind?

Trump-Fan: «Das sind Patrioten!»

Einige dieser 74 Millionen Amerikaner hat man verloren. Das zeigt ein Blick ins Netz – oder in meine anderen Textnachrichten von diesem Tag. Ich kenne Unterstützer des Präsidenten, stehe mit einigen von ihnen im freundlichen Austausch.

Einen jungen Trump-Fan zähle ich zu meinen engsten Freunden. Sein Fazit des Tages lautete: «Das sind Patrioten, die die Demokratie retten.» Er spricht von den Leuten, die das Kapitol gewaltsam gestürmt und vier Menschenleben auf dem Gewissen haben. Der Schaden an der amerikanischen Demokratie ist dabei nicht mit eingerechnet.

Biden braucht die Republikaner

Jetzt kommt bald Joe Biden (78). Der Demokrat mag ein Brückenbauer sein. Biden mag auch viele republikanische Freunde im Senat haben. Aber er allein kann dieses Land nicht einen. Nur die Republikanische Partei kann das mittlerweile noch.

Diese Politiker müssen sich nun von Trump konsequent abwenden. Gleichzeitig sollten sie ihren Wählern erklären und sich eingestehen, dass man sich in Trumps Person – nicht zwingend in seiner Politik – geirrt hat. Die Partei muss eine starke Alternative bieten, die die berechtigten Sorgen ihrer Wähler ernst nimmt. Aber keine Frau oder keinen Mann, die Amerika in eine Diktatur verwandelt.

Es war ein trauriger Tag. Ich habe neben meinem Mitbewohner auf der Couch eine Träne verdrückt. Er hat sich geschämt.

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