Editorial
Frankreich ist so schwach, es kann nur noch Schaden anrichten

Publiziert: 22.04.2017 um 23:43 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 20:17 Uhr
Gieri Cavelty
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick

Liebe Leserin, lieber Leser

Armes Frankreich! Unsere Nachbarn machen Schreckliches durch – der Mordanschlag auf den Champs-Élysées hat die Bilder erneut in Erinnerung gerufen: «Charlie Hebdo», Bataclan, Nizza ... Erfreuliches aus Frankreich dagegen kommt uns derzeit wohl kaum in den Sinn.

Gewöhnung an den Terror – ja, das gibt es. Die Psychologie spricht von «Resilienz» und meint damit die menschliche Fähigkeit, Krisen zu bewältigen, daran vielleicht sogar zu wachsen. Und doch: In Frankreich wirkt der ständig wiederkehrende Schrecken wie ein lähmendes Gift. Die einstige Grande Nation ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Das liegt natürlich nicht nur am islamistischen Terror. Misswirtschaft und Bürokratie, Filz und Fantasielosigkeit haben einen sehr viel grösseren Anteil am Malaise. Der Terror indessen gibt der allgemein gedrückten Stimmung eine klare Kontur – und eben: die einprägsamsten Bilder.

So schwach, wie sich Frankreich heute präsentiert, kann das Land fast nur noch destruktive Kräfte entfalten. Wie ein taumelnder Riese, der in seinem Sturz gewaltige Zerstörungen anrichtet. Am schlimmsten wäre dieser Schaden mit einer Präsidentin Marine Le Pen, der Führerin des Front National.

Doch selbst wenn Emmanuel Macron gewählt wird, droht die französische Politik in Abschottung und Ressentiment zu erstarren. Macron gibt sich zwar als überzeugter Europäer. Doch der 39-Jährige hat keine Partei im Rücken. Und ohne Hausmacht könnte er sich als Staatschef der düsteren Stimmung im Land nur schwer entziehen: Rechnet man die Anhänger der rechtsextremen Le Pen, des linksextremen Jean-Luc Mélenchon sowie aller weiteren radikalen Kandidaten zusammen, befürworten heute mehr als 50 Prozent der Wähler eine Politik von «Frankreich zuerst» und einen «Frexit», also den Austritt des Landes aus der EU.

Europagegner und Kritiker der Personenfreizügigkeit in der Schweiz versetzen solche Aussichten in Champagnerlaune. Nachdem sie den freien Personenverkehr mit der EU nicht mit innenpolitischen Mitteln aus dem Weg räumen konnten, hoffen sie nun, dass Europa das Problem selber aus der Welt schafft. Die Spekulation auf eine serbelnde Europäische Union ist allerdings kurzsichtig. Gewiss hat die heutige Praxis der Personenfreizügigkeit Schwächen. Als Kleinstaat und Exportnation aber kann die Schweiz in einem Europa des
aggressiver werdenden Nationalismus nur verlieren.

Ist das alles jetzt nicht einfach nur schwarzgemalt? In einem Punkt immerhin sind die Franzosen nach wie vor führend: bei den Comics. Wo gibt es das, dass ein Comiczeichner den Staatschef auf Schritt und Tritt begleiten darf? François Hollande hatte den Künstler Mathieu Sapin für ein paar Monate bei sich im Präsidentenpalast zu Gast.

Wer die letzten fünf Jahre mit dem glücklosen Sozialisten Hollande also nicht nur düster in Erinnerung behalten möchte – dem sei Sapins Comic «Le Château» über seine Zeit im Élysée durchaus ans Herz gelegt.

Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen
Gieri Cavelty

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