Kolumne «Geschichte»
Die Wetterhexe

Vor 479 Jahren war es in Mitteleuropa heiss. Wie heute suchten die leidenden Menschen nach Erklärungen und nach Schuldigen. Und sie fanden sie.
Publiziert: 11.07.2019 um 22:53 Uhr
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Aktualisiert: 06.02.2020 um 21:27 Uhr
Claude Cueni

Zuerst kam der Regen. Neun Monate lang. Die Menschen klagten und beteten. Dann kam die Hitze, elf Monate lang, sie war ungewöhnlich stark, «glühend und schrecklich», wie ein Chronist im Jahr 1540 berichtete, mit Temperaturen von weit über 40 Grad. In Italien war es bereits im Winter wärmer gewesen als normalerweise im Hochsommer. Ganze Seen trockneten aus, in Basel konnte man an einigen Stellen den Rhein zu Fuss überqueren, Wälder brannten, Felder verkümmerten, Ernten fielen aus, das Vieh verendete auf den Weiden, in Europa verdursteten über zehntausend Menschen, viele kollabierten bei der Feldarbeit, die Nahrungsmittelpreise schossen in die Höhe, Mord und Totschlag waren die Folge.

In über 300 Chroniken wird Europas grösste Naturkatastrophe detailliert geschildert. Das meteorologische Phänomen übertraf alle späteren Hitzesommer bei weitem.

Dafür musste eine Hexe verantwortlich sein!

Da man damals davon ausging, dass alles im Leben einen Sinn hat und einer gewissen Logik folgt, suchte man nach einer Ursache. Wer war dafür verantwortlich? Wer zum Teufel hatte gesündigt? Wen hatte Satan als Werkzeug für diesen «Wetterzauber» benutzt? Das musste eine Hexe sein, die sich mit schwarzer Magie auskannte.

Schriftsteller und BLICK-Kolumnist Claude Cueni.
Foto: Thomas Buchwalder

Die Wahl fiel auf die 50-jährige Prista Frühbottin. Sie verkehrte mit Menschen am Rande der Gesellschaft und gehörte somit zu den üblichen Verdächtigen. Am 29. Juni 1540 wurde sie in Wittenberg wegen angeblichem «Wetterzauber» und dem Vergiften der Weiden zusammen mit ihrem Sohn verhaftet. Sie wurden Opfer der damals populären Hexenprozesse. Zusammen mit zwei anderen «teuflischen Gesellen» schmiedete man sie an Eichenbalken. Sie wurden «geschmäucht und abgedörrt», bis nur noch ein Häufchen Asche übrig blieb.

«Gottes Strafe für die Verachtung seines lieben Wortes»

Die angebliche «Wetterzauberin» erlangte eine gewisse Berühmtheit. Selbst Martin Luther erwähnte sie in einem Brief an seine Ehefrau und nannte die Hexenverbrennung «nichts Neues, weil auch in diesen Landen der Teufel tobt», und bezeichnete die Hinrichtung als «Gottes Strafe für die Verachtung seines lieben Wortes».

Es dauerte 473 Jahre, bis der Rat der Stadt Wittenburg Prista Frühbottin und ihre Familie rehabilitierte.

Claude Cueni (63) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.

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