Kolumne «So ein Ding!»
Fit oder Fun?

Was haben angeblich stets perfekte Schönheiten, Donald Trump und unser schlechtes Gewissen miteinander zu tun? Mehr als uns lieb ist. Zum Glück hört das jetzt auf.
Publiziert: 23.01.2021 um 15:31 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2021 um 16:57 Uhr
Lisa Feldmann

Eigentlich lehnen wir den bedingungslosen Hang zur Selbstoptimierung schon länger ab. Wir können sie nicht mehr sehen, diese Gwyneth Paltrows und Selma Hayeks, die uns ihre Seren und Saft-Rezepte auf Instagram präsentieren, auf dass wir uns ungepflegt, unterversorgt und schuldig fühlen: Ein Mensch ohne ausreichende Antioxidantien-Konsumation, so die Botschaft, den kann man grad vergessen.

Kein Wunder, regt sich langsam Widerstand. Denn so wie Barack Obama die Utopie ausgab, dass unter seiner Präsidentschaft jeder Afroamerikaner, jeder Arme oder Unterprivilegierte aufsteigen könne, er müsse sich nur genug anstrengen, so wollten uns Victoria's-Secret-Modelle und Hollywood-Stars weismachen, dass ihr unverändert idealtypisches Aussehen allein täglichen Turnübungen und einem leicht erhöhten Wasserkonsum zu verdanken sei.

Man nennt dieses irreführende Phänomen «Egalitarismus», und man deutet heute den damaligen Wahlsieg Donald Trumps auch als Protest gegen diesen Anspruch. Was, wenn du es in einem Land nicht geschafft hast, wo angeblich alles möglich ist? Wenn du dich furchtbar angestrengt hast, deinen Job aber dennoch verlierst? Bist du dann nicht enttäuscht von einem Präsidenten, der vor allem top ausgebildete, mehrsprachige, computergeschulte Eliten um sich versammelt und diese zum Massstab erklärt? Vielleicht wählst du dann das nächste Mal jemanden, der dich von deinem Versager-Gefühl freispricht.

Lisa Feldmann, Kolumnistin.
Foto: zVg

Endlich schön unschuldig

Ausgerechnet Corona hat dieses Dilemma gemildert. Durch den allgemeinen Rückzug aus der Öffentlichkeit, das Schliessen der Fitnessstudios, die verwaisten Laufstege der Büros und Restaurants ist ein Schlendrian eingezogen, an dem wir uns richtig schön unschuldig fühlen dürfen. Plötzlich sieht man Instagram-Stars mit fülligeren Gesichtszügen und Fernsehmoderatorinnen mit herausgewachsenen Strähnen. Und Freunde schwärmen von ihren neuen Hobbys Motorradfahren, Autowandern oder Spazierengehen.

Ich konnte mir in den vergangenen zwanzig Jahren keinen Tag ohne Sport vorstellen, mein Alltag war einem klaren Regime unterworfen. Nun werde ich ein sogenanntes Balance Board bestellen. Es scheint Spass zu machen, die Techniken des Stand-up-Paddelns auf den Wohnzimmerteppich zu verlegen. Aber vor allem: An die Wand gelehnt vermittelt das Board genau so viel «California Dreaming» wie es braucht, um durch diesen Januar zu kommen.

Lisa Feldmann hat sich schon als Chefredaktorin der Zeitschrift «Annabelle» über die tiefere Bedeutung unserer alltäglichen Lifestyleprodukte Gedanken gemacht. Heute liest man darüber jeden zweiten Samstag hier und auf Instagram unter feldmanntrommelt. Zu hören ist sie im BLICK-Podcast «Bikini».

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