Kolumne «Wild im Herzen» über die Äskulapnatter
Warum wir uns vor ungiftigen Schlangen fürchten

Schon Babys haben offenbar Angst vor Schlangen. Im Erwachsenenalter wird es selten besser. Zugleich hat es eine Natter ins Symbol für die Medizin geschafft. Hier böse, dort gut – bei Schlangen fährt der Mensch eine Schlangenlinie.
Publiziert: 30.07.2021 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 29.07.2021 um 16:33 Uhr
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Simon JäggiSänger der Rockband Kummerbuben

Unsere Beziehung zu Schlangen ist schwierig. Warum das? Darauf gibt es eine biologische und eine kulturelle Antwort.

Zuerst die biologische: Schlangen können tatsächlich eine Bedrohung für uns darstellen. Unsere Furcht vor Schlangen ist sogar angeboren, dies behaupten Forschende vom renommierten Max-Planck-Institut.

Die deutschen Forschenden zeigten Babys Bilder von Schlangen und Spinnen. Die Reaktionen der Kleinen lasen sie an der Veränderung der Pupillen ab. Auf die Bilder von Schlangen und Spinnen reagierten die Babys mit Stress – nicht so bei Fischen. Und das, obwohl es in Deutschland keine einzige giftige Spinnenart und nicht sehr giftige Schlangen gibt.

Die Äskulapnatter kommt in der Schweiz vor. Sie ist auch auf dem Äskulapstab abgebildet, der zum Symbol für die Medizin wurde.
Foto: ullstein bild via Getty Images
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Eva und die kriechende Hinterhältigkeit

Die Wissenschaft geht daher davon aus, dass unsere Angst vor Schlangen in den Genen steckt. Die Furcht vor den Tieren ist offenbar eine evolutionäre Schutzfunktion – selbst dann, wenn wir nicht in Australien leben, wo es wirklich gefährliche Exemplare gibt.

Dass wir Schlangen fürchten, hat auch kulturelle Gründe. Schauen wir nur in jenes Buch, das unser Denken ganz besonders geprägt hat: die Bibel.

Die Schlange ist das erste Tier, das darin auftaucht. Bekanntlich verführt sie Eva, vom Baum der Erkenntnis zu naschen. Sie steht für die Versuchung – und für das Böse. Aufmunitioniert von der Bibel sind Schlangen über Jahrhunderte in Märchen, Büchern und Filmen als kriechende Hinterhältigkeit diffamiert worden.

In vielen anderen Kulturen dagegen wird Schlangen Bewunderung entgegengebracht. Ein Beweis dafür ist der Äskulapstab, der aus der griechischen Mythologie stammt und zum Symbol für die Medizin geworden ist.

Natter in der Tessiner Beiz

Die Schlange, die darauf abgebildet ist, ist eine Äskulapnatter. Eine von neun Arten, die in der Schweiz vorkommen – und eine der grössten. Bis zwei Meter lang kann sie werden. Sie lebt vor allem im Wallis und im Tessin.

Und es war (vielleicht) auch eine solche ungiftige Äskulapnatter, die sich einst in eine Tessiner Beiz verirrte. Ein Gast wollte sie zu Tode treten. Ich sprang auf und versuchte, die Schlange zu retten. Ich wurde etwas handgreiflich, eines der wenigen Male in meinem Leben.

So gesehen hat auch mich mal eine Schlange zu einer nicht ganz lupenreinen Tat bewegt.

Simon Jäggi (41) ist Sänger der Rockband Kummerbuben und arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern. Er schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.

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