Kolumne «Wild im Herzen» von Simon Jäggi
Foie gras vom Fisch

Die Trüsche lebt auf dem Grund unserer Seen in Tiefen von bis zu 700 Metern. Heute als Speisefisch in Vergessenheit geraten, galt Trüschenleber früher als Delikatesse.
Publiziert: 24.09.2021 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 23.09.2021 um 18:15 Uhr

Vor einigen Jahren wurde im Thunersee eine neue Gasleitung gebaut – zu diesem Zweck wurde der Seegrund mit einer Unterwasserkamera abgefilmt. Dabei entstanden erstaunliche Aufnahmen. Zu sehen waren kleine schwimmende Tiere, die an Kaulquappen erinnerten. Kaulquappen in 150 Metern Tiefe? Ist das möglich? Es roch nach einer biologischen Sensation.

Mein verehrter Arbeitskollege, Professor Christian Kropf, bekam die Aufnahmen zugespielt und zerbrach sich den Kopf. Er tauschte sich mit Amphibien-Experten aus: Niemand hatte je schon davon gehört, dass sich Froschlarven auf dieser Tiefe aufhalten – nur sahen die Larven tatsächlich wie Kaulquappen aus.

Nun hat Kropf einen Hinweis eines Hobbyfischers erhalten, der das Geheimnis um die vermeintlichen Kaulquappen wahrscheinlich lüftet: Die Tierchen auf dem Überwachungsvideo könnten Trüschenlarven gewesen sein. Diese ähneln in den ersten Wochen ihres Lebens nämlich jungen Fröschchen.

Kolumnist Simon Jäggi empfiehlt Trüschenleber als Alternative zu Foie gras.
Foto: imago/Bluegreen Pictures

In der Nacht gehen die Trüschen auf die Jagd

Die Trüsche ist ein geheimnisvoller Fisch. Er bewohnt die Tiefen unserer Flüsse und Seen – auf bis zu 700 Metern Tiefe. Da er zur Familie der Dorschartigen gehört, trägt er auch den Übernamen Alpendorsch. Er lebt auf steinigem Grund und versteckt sich tagsüber gerne unter Steinen und Holz – oder irgendwelchem Unrat, den Menschen in Gewässern versenken.

In der Nacht beginnen die wunderschön gemusterten Raubfische zu jagen. Bis 30 Zentimeter grosse Exemplare fressen Würmer oder andere wirbellose Tiere, die sie in Grundnähe finden. Kapitalere Tiere tun sich an kleinen Fischen gütlich. Da Trüschen auch den Laich anderer Fische fressen, waren sie bei Fischern lange unbeliebt.

Zuger Adelsfrau soll sich mit ihrer Vorliebe für Trüschenleber ruiniert haben

Geschätzt hat man die Trüschen aber schon seit früher Zeit als Delikatesse. Besonders die Leber soll vorzüglich sein. Eine Sage aus Zug erzählt davon: Eine unersättliche Adelsfrau speiste nur teure Delikatessen, am liebsten Trüschenleber – und trieb damit sich und ihren Gatten in den Ruin.

Die Trüsche ist als Speisefisch in Vergessenheit geraten. Als ich einmal den Berufsfischer auf dem Märit nach Trüschen fragte, gab er zur Antwort, dass er diese kaum losbringe und daher nicht anbiete. Sollten sie ihren Gästen also etwas wirklich Exquisites anbieten wollen, greifen sie doch lieber zur Trüschenleber statt zur Foie gras.

Simon Jäggi (41) ist Sänger der Rockband Kummerbuben und arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern

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