Kolumnistin Lisa Feldmann über Gummistiefel
Der Trend folgt auf dem Fuss

Die Tage können noch so sonnig sein – heute tragen Frauen Stiefel, als wären sie direkt aus einem Tiefdruckgebiet angereist. Klobig, bunt und irgendwie auch lustig. Gib Gummi!
Publiziert: 30.10.2021 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 29.10.2021 um 19:43 Uhr
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Lisa FeldmannLifestyle-Expertin

Immer wieder einmal übernimmt eine Modemarke die Deutungshoheit über Trends, denen wir uns dann scheinbar Lemmingen gleich nicht mehr entziehen können. Oftmals ist es ein einziges Accessoire, das diesen Hype auslöst.

In den Perioden, die ich überblicke, war da Anfang der Neunzigerjahre jener Nylon-Rucksack, den ein italienisches Traditionshaus namens Prada über Nacht ins globale Konsum-Bewusstsein katapultierte. Wir trugen unsere Alltagsutensilien plötzlich auf dem Rücken mit uns herum, dazu passte, dass wir unsere Businessanzüge mit Turnschuhen kombinierten, die jetzt Sneakers hiessen. Und wir kombinierten unterbewusst: Wer so viel Zeitgeist-Kompetenz vorweisen kann, der soll uns ruhig auch sonst vorschreiben, was modisch ab sofort unentbehrlich sein würde.

Offensive mit dem Doppel-G

Dann war da noch die merkwürdig geteilte Schuhspitze von Martin Margiela, die an einen Huf erinnerte und dennoch Kult wurde. Nicht nur seine eigene Marke, sondern gleich eine ganze Gruppe von Designern nebst ihrer Modeschule geriet als «Antwerpen Six» auf die Landkarte, darunter Anne Demeulemeester und Dries Van Noten. Mode aus Belgien wurde zur Uniform einer internationalen Intellektuellenszene.

Bottega Veneta, die klobige Variante der heute hippen Gummistiefel.
Foto: Bottega Veneta
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Und natürlich immer wieder Gucci. Unter Tom Ford genügte eine lasziv dekolletierte Bluse, um Schuhe und Handtaschen – das Doppel-G auf ledernen G-Strings – und damit auch eine neue selbstbewusste Offensive des Sex-Appeals salonfähig zu machen.

Sein Nachfolger Alessandro Michele wiederum zeigte von seiner ersten Kollektion an Looks, wie sie nur sehr junge Leute glaubhaft tragen können. Und läutete die Ära einer neuen Generation ein: laut, frech, auch politisch.

Alles halb so ernst

Und jetzt? Tragen Frauen an sonnigen Tagen auf der Bahnhofstrasse Stiefel, als wollten sie später noch einen Stall ausmisten. Manche scheinen direkt aus einem Tiefdruckgebiet angereist zu sein, buntes Gummi bis zum Knöchel und dazu eine Culotte, in der sie mögliche Springfluten überstehen.

Längst wissen nicht nur Fashionistas, dass es sich hier um Looks der Marke Bottega Veneta handelt. Und plötzlich finden wir alle: Stiefel können gar nicht klobig genug sein, ausserdem bunt, laut, irgendwie auch lustig.

Der neuste Trend lautet demnach: Lasst uns die Sache mit der Mode nicht allzu ernst nehmen. Und der könnte meinetwegen ruhig ein wenig länger anhalten.

Lisa Feldmann hat sich schon als Chefredaktorin der Zeitschrift «Annabelle» über die tiefere Bedeutung unserer alltäglichen Lifestyle-Produkte Gedanken gemacht. Heute liest man darüber jeden zweiten Samstag im Blick und auf feldmanntrommelt.com

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