Meyer rät: Weisse Privilegien
«Ihnen ist es gut ergangen»

Immer wieder lese ich (52), dass ich als heterosexueller weisser Mann «privilegiert» sei. Was bitteschön ist damit gemeint? Ich bin weder reich noch berühmt oder sonst was.
Publiziert: 27.03.2022 um 12:32 Uhr

Sie verstehen das Wort falsch. Privilegiert zu sein, bedeutet im Zusammenhang mit Ihrer sexuellen Identität, Ihrem Geschlecht, Ihrer Hautfarbe und Ihrer Religion, dass Sie von Diskriminierung verschont werden, konkret also vom Schmerz, den Menschen erfahren, wenn sie ausgegrenzt werden.

Als Mann wissen Sie zum Beispiel nicht, wie es ist, permanent von Männern angegafft zu werden, im Dunkeln Angst vor ihnen zu haben und beruflich nie für voll genommen zu werden. Als Weisser wissen Sie ausserdem nicht, wie es ist, aufgrund dunkler Haut immer wieder das Interesse der Polizei auf sich zu ziehen. Als Heterosexueller kennen Sie nicht die Ablehnung durch die eigene Familie, und als Nichtjude leben Sie nicht in ständiger Angst vor perfiden Bemerkungen.

All das nicht zu erleben, ist eindeutig ein Privileg. Sie waren sich dessen einfach nicht bewusst. Womöglich gilt das auch für andere Vorzüge, wie die Gewissheit, heute Abend satt ins Bett zu gehen, überall Zugang zu «sauberem» Wasser zu haben (die massive Belastung durch Pestizid bleibt dank der Agrarlobby ja weiterhin bestehen) oder innerhalb weniger Minuten die weltbeste ärztliche Versorgung beanspruchen zu können.

Anti-Rassismus-Demonstration im März in London.
Foto: imago/i Images

Es gibt eine ganze Reihe von unangenehmen Erfahrungen, die Sie niemals machen werden, wenn Sie in der Schweiz leben. Erst recht nicht als weisser christlicher Mann, der hier geboren wurde. Das sehen leider viele überhaupt nicht so. Zu wohlig haben sie es sich in ihrer Selbstverständlichkeit eingerichtet und sind nun ganz erstaunt, da sich überall Stimmen erheben, die von Ausgrenzungserfahrungen berichten.

Einige sehen sich dadurch sogar selbst als Opfer: Diese Diskriminierungsvorwürfe diskriminieren mich! Aber so reden nur Menschen, die nicht wissen, wie gut es ihnen immer ergangen ist. Alle anderen sind dankbar.

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