Milena Moser
Allein unterwegs

Neulich sass ich seit langem wieder einmal allein an einem Restauranttisch und genoss jeden Bissen und jede Minute. Ich hatte ganz vergessen, wie gern ich allein unterwegs bin. Eine Vorliebe, die manchen seltsam erscheint und anderen wie einen Traum.
Publiziert: 07.11.2022 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2022 um 19:26 Uhr
Milena Moser

Ich war siebzehn, als ich nach einem Besuch bei meinem Vater, der damals in Hamburg lebte, allein eine Woche lang irgendwelche Nordseeinseln abklapperte. Ich erinnere mich vor allem an all die Missgeschicke, die mir unterwegs unterliefen: Auf der einen Insel war die Jugendherberge schon für die Saison geschlossen, als ich ankam, zur anderen verkehrte die Fähre nur jeden zweiten Tag. Das war aber kein Weltuntergang. Denn es war niemand da, der mir deswegen Vorwürfe machen könnte. Ich war auf mich gestellt, und ich wusste mir zu helfen.

An einem Stand kaufte ich ein Fischbrötchen und erkundigte mich nach Übernachtungsmöglichkeiten. Tatsächlich, die Nachbarin der Verkäuferin vermietete manchmal ihr Gästezimmer. Während ich darauf wartete, dass sie den Stand schloss und mich zu der Dame brachte, hörte ich allerlei Klatsch und fühlte mich bald wie eine Einheimische. An nächsten Morgen servierte mir meine Gastwirtin zum Frühstück weich gekochte Eier unter selbst gehäkelten Warmhaltehütchen. Sie stellte mir unendlich viele Fragen, vermutlich um herauszufinden, ob ich von zu Hause abgehauen war. Ein Mädchen allein unterwegs, das war damals nicht normal – und ist es offenbar immer noch nicht. Und doch habe ich es immer geliebt. In den unterschiedlichsten Lebensphasen, unabhängig von meinem Zivil- und Gemütszustand.

Allein unterwegs zu sein, hilft mir, mich selbst wiederzufinden, wenn ich mich vorübergehend verloren habe. Es lehrt mich, dass Missgeschicke wie verpasste Züge, verlorene Pässe, gestohlene Bargeldreserven zwar mühsam sind, aber immer auch zu neuen Abenteuern und Begegnungen führen. Vor allem aber wird mir, wenn ich allein unterwegs bin, bewusst, was ich kann (mehr als ich denke) und was ich will (nicht unbedingt das, was ich denke).

Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Im Februar erschien ihr neues Buch «Mehr als ein Leben».

Wenn ich mit jemand anderem unterwegs bin, ob Freundin oder Mann oder Kind, dann ist mir immer die Frage zuvorderst, was die andere Person braucht und ob sie auch zufrieden ist. Das geht bestimmt nicht nur mir so. Und grundsätzlich ist Gemeinschaft etwas Wertvolles und Rücksichtnahme unverzichtbar. Aber beides bringt mich manchmal an den Punkt, an dem ich mich nicht mehr denken höre. An dem ich nicht mehr weiss, ob ich jetzt wirklich Hunger habe oder nur essen gehe, weil es so abgemacht ist.

Und so sass ich neulich, mitten in einer strengen und voll verplanten Woche, unverhofft allein in einem Fischrestaurant an der nordkalifornischen Küste. Es war noch hell draussen, ich wollte eigentlich spazieren gehen, aber plötzlich hatte ich Hunger. Und so trat ich ein, ohne zu überlegen, ohne nachzufragen. Ich bekam einen schönen Tisch mit Blick auf den Ozean, hinter dem gerade der untergehende Feuerball vom aufsteigenden Nebel verschluckt wurde. Ich bestellte zwei Vorspeisen und liess sie mir auch beide gleichzeitig bringen. Ich zog kein Buch aus der Tasche und auch kein Handy. Stattdessen liess ich mich von einem netten Paar am Nebentisch in ein Gespräch verwickeln, das hauptsächlich aus Fragen bestand. Vielleicht wollten sie wissen, ob ich von zu Hause abgehauen war.

Dann schaute ich wieder aus dem Fenster, wo sich die letzten glühend roten Schleier über dem Ozean ausbreiteten. Im Fenster spiegelte sich eine rundum glückliche Frau. Ich prostete ihr zu.

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