Milena Moser
Das S-Wort

Kürzlich hat mein jüngerer Sohn wieder einmal das S-Wort ausgesprochen. Zögernd nur, denn er weiss, wie sehr ich es hasse. Es ist für mich kein Kompliment, es ist eine Schublade, in der ich mich nicht zu Hause fühle. Nein, bitte, ich bin keine starke Frau!
Publiziert: 22.11.2020 um 11:13 Uhr
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Aktualisiert: 27.11.2020 um 17:03 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Das schöne Leben der Toten».
Foto: Milena Moser
Milena Moser

Denn «Du bist eine starke Frau» ist ja meist nur ein Code für «Du hast ganz schön viele widrige Umstände, Schicksalsschläge und Katastrophen bewältigen müssen, und erst noch halbwegs würdevoll und anständig». Das ist allerdings eine zweifelhafte Ehre und ein zweischneidiges Kompliment. Ich kenne keine, die es nicht mit Handkuss zurückgeben würde, wenn sie dafür ein sorgenfreieres Leben führen könnte. Aber uns fragt ja keiner. Ausserdem impliziert das Prädikat «starke Frau» immer auch «Und wie du das alles ganz allein schaffst, wow, super, bewundernswert! Du scheinst ja gar keine Hilfe zu brauchen – und deshalb biete ich auch gar nicht erst welche an». Ob und wie sehr das auch auf Männer zutrifft, kann ich nicht beurteilen. Wird diese sogenannte Stärke bei ihnen einfach vorausgesetzt? Ich weiss es nicht.

Und damit keine Missverständnisse aufkommen: Mangelnde Hilfsbereitschaft kann ich meinen Söhnen nun wirklich nicht vorwerfen. Aber sie haben beide meinen Vortrag dazu so oft gehört, dass ich mich wundere, wenn einer von ihnen es wagt, das S-Wort auf mich anzuwenden.

Doch wie dem auch sei, das war genau, was mein Sohn sagen wollte: «Es ist doch recht viel, was in der letzten Zeit passiert ist, aber du scheinst ganz gut damit umzugehen.» Mit dem Tod meiner Mutter, mit der Tatsache, dass ich nicht bei ihr sein konnte, überhaupt, mit der viel zu lange anhaltenden Trennung von meiner Familie. Mit der Pandemie und all ihren Auswirkungen, der Unsicherheit, mit der politischen Lage in meiner Wahlheimat und dem wackeligen Gesundheitszustand meines Mannes.

«Was hab ich denn für eine Wahl?», frage ich zurück. Was nützt es mir oder sonst jemandem, wenn ich mich gegen Umstände auflehne, die sich meiner Kontrolle komplett entziehen? Wenn ich mich in Empörung suhle wie im Schlamm? Macht es mich glücklicher, wenn ich mich und alle anderen, die es hören wollen, sieben Mal pro Tag daran erinnere, wie ungerecht das alles ist und wie sehr es mich beeinträchtigt? Was würde das ändern, ausser meiner Laune – und die nicht zum Besseren.

Gerade der Sterbeprozess meiner Mutter hat mir das wie ein glühendes Eisen ins Bewusstsein gebrannt. Natürlich hatte ich flüchtige Allmachtsfantasien, in denen ich diesen Weg erleichtern oder gar verändern könnte. Natürlich haderte ich mit den Umständen, die verhinderten, dass ich bei ihr sein konnte. Doch was half es ihr oder mir, mich in diese Umstände zu verbeissen? Ich musste versuchen, für sie da zu sein, ohne wirklich da zu sein. Ob das gelang oder nicht, werde ich nie wissen. Am Ende war ihr Weg ohnehin vollkommen losgelöst von mir oder sonst jemandem. Das zu erfahren, war auch ein Geschenk.

«Das mein ich doch», sagt mein Sohn. «Was bist du denn, wenn nicht eine starke Frau?»

«Ha!» Vielleicht irritiert mich dieses Prädikat auch so, weil es unterschlägt, dass es eine bewusste Entscheidung ist. Sich Mühe zu geben. Das Beste daraus zu machen. Das ist keine moralische Entscheidung, keine spirituelle Verpflichtung. Nein, es ist viel einfacher: Ich fühle mich besser dabei.

«Ich bin keine starke Frau», erinnere ich meinen Sohn. «Ich will nur glücklich sein, das ist alles.»


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