Milena Moser
Die Welt beim Abwaschen

Klimawandel, Waldbrände, Milliardäre im All, Welthunger, Armut und Reichtum sind nur ein paar Themen, die wir während des Abwaschens durchnehmen. Dabei lösen wir nicht ein einziges Problem dieser Welt, aber immerhin ist das Geschirr sauber.
Publiziert: 27.09.2021 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 25.09.2021 um 16:16 Uhr
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Milena MoserSchriftstellerin

Die anhaltende Dürre in Kalifornien wird in den Medien von anderen Themen verdrängt. Auch die Waldbrände finden kaum mehr Erwähnung, sodass ich fast vergessen habe, dass es immer noch an 18 Orten in Kalifornien brennt. Vor ein paar Wochen waren es noch 70.

Während ich das Frühstücksgeschirr abwasche, versuche ich mich zu erinnern, wann ich zum ersten Mal über Umweltschutz nachgedacht habe. Ich erinnere mich, dass meine Mutter feierlich ihre Haarspraydosen entsorgte, das muss also schon ziemlich lange her sein.

Victor lobt meine wassersparende Abwaschtechnik: «Man merkt eben, dass du aus einem bodenständigen Land kommst!»

Milena Moser bespricht mit ihrem Mann Victor beim Abwaschen die ganz grossen Themen.
Foto: Shutterstock

Er erzählt, dass es in einem kleinen Haus in Santa María Ahuacatitlán kein fliessendes Wasser gab. Und dass von seinen zahlreichen internationalen Besuchern und Besucherinnen nur gerade die aus Nordeuropa wussten, wie man mit wenig Wasser sauber abwäscht. «Die Amerikanerinnen konntest du ganz vergessen ...»

Ich muss lachen. Vor ein paar Jahren hat sich eine aus Paraguay eingewanderte Freundin über meinen Spülmittelverbrauch entsetzt. «Man merkt schon, dass du aus einem reichen Land kommst!», rügte sie mich damals.

Es stimmt allerdings, dass mir die Wassersparmassnahmen, die in Kalifornien Jahr für Jahr mit zunehmender Dringlichkeit empfohlen werden, selbstverständlich scheinen.

Dass ich tatsächlich schon in der Schule gelernt habe, den Wasserhahn während des Zähneputzens zuzudrehen. Wir hatten Umweltwochen, wir standen an den Kreuzungen und hielten Schilder hoch, auf denen «Motor abstellen!» stand.

Wir tauschen die Plätze, Victor reicht mir das Handtuch und nimmt sich, ganz der Gentleman, der verkrusteten Bratpfanne an. Mehr oder weniger folgerichtig landen wir bei Elektroautos und meiner heftigen Abneigung gegen Elon Musk und überhaupt all die barfuss laufenden Milliardäre, die nichts Gescheiteres mit ihrem Geld zu tun wissen, als es im Weltall zu verpuffen. Wo sie doch zum Beispiel den Hunger auf der Welt beenden könnten. Und wenn wir schon beim Thema Hunger sind, verkündet Victor stolz seine neueste Erkenntnis: «Wenn ich die Arbeit kurz unterbreche, um etwas zu essen, wenn ich Hunger habe, läuft es nachher viel besser!»

Was kann man dazu sagen? Ich schwanke zwischen Irritation – das versuche ich ihm seit Jahren nahezulegen! – und Mitgefühl. Und werde mir wieder einmal bewusst, dass ich keine Ahnung habe. Klar habe ich, wie alle freischaffenden Künstlerinnen, mal mehr und mal weniger auf dem Konto. Aber ich wusste immer, wo ich nachts schlafen würde. Und ich habe nie, nie, nie in meinem ganzen Leben Hunger gelitten. Nie.

Victor hingegen schon. Er war arm, er war obdachlos, er war hungrig. Er hat gelernt, mit Hunger zu leben, ihn zu verdrängen, zu ignorieren. Auch wenn er das gar nicht mehr muss. Und das vergisst er nicht. Jeden Tag sagt er mindestens einmal: «Ist das nicht toll, wir haben ein Dach über dem Kopf! Wir haben fliessendes Wasser! Eine Heizung!» Anfangs genierte mich die Tatsache, dass diese Dinge für mich selbstverständlich waren. Aber ich bin lernfähig. Ich schliesse mich seiner Dankbarkeit an, ich übernehme sie. Das Bewusstsein, Glück zu haben, trägt spürbar zu diesem Glück bei. Die Welt haben wir nicht gerettet, aber immerhin ist das Geschirr sauber.

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