Milena Mosers überraschende Pool-Geschichte
Mein Freibad

Wenn mir etwas fehlt im Sommer in San Francisco, dann ist es die Sonne. Nein, im Ernst: das Schwimmen. Das Wasser in der Bay ist mir zu kalt, um mich länger darin zu bewegen, und die städtische Badikultur ist … nun ja.
Publiziert: 11.08.2024 um 20:15 Uhr
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Milena MoserSchriftstellerin

Eine Freundin fand, ich sei mutig. Die andere fragte, ob es mir ernst sei. Die öffentlichen Schwimmbäder in einer der teuersten Städte der Welt haben einen sehr schlechten Ruf. «Du glaubst nicht, was da im Wasser schwimmt!», wurde ich gewarnt. Ausserhalb, in den reicheren Kleinstädten auf der Halbinsel, soll es schönere Anlagen geben. Aber ich wollte dem einzigen Freibad in der Stadt eine Chance geben, erst recht, da ich es bequem zu Fuss erreichen konnte.

Der Pool liegt in einem kleinen Park, hinter einer bunt bemalten Mauer. Und es ist wirklich nur ein Pool. Vier Bahnen, 27 Meter lang. Keine Liegefläche, kein Kiosk. Keine grosszügig gesalzenen Pommes frites, keine angeschmolzenen Glacecornets, keine «Heftli». Auch keine Garderobe im eigentlichen Sinn, nur eine Bank, unter der eine Reihe Turnschuhe stand, und ein paar Haken an der Wand.

Etwas verwirrt schaute ich mich um und wurde dann gleich von einer sportlich wirkenden jungen Frau unter die Fittiche genommen. «Du bist Europäerin, stimmts?» Ich nickte. Sie nickte auch, das hatte sie offenbar gleich erkannt. «Vergiss alles, was du über Schwimmbäder weisst», sagte sie.

In ihrem Wohnort San Francisco entdeckte Milena Moser eine Badi der anderen Art.
Foto: Shutterstock
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Kati, so stellte sie sich vor, kam aus Litauen. Sie zeigte mir, wo ich meine Sachen versorgen und wo ich duschen konnte. Sie riet mir, ein Vorhängeschloss zu besorgen und nicht barfuss zu gehen. Alles war etwas schäbig und auch nicht wirklich sauber. Öffentliche Einrichtungen, die weder für Techfirmen noch für Touristen interessant sein könnten, stehen auf der Prioritätenliste der Stadt ganz, ganz weit unten. Doch das tut der Stimmung keinen Abbruch. «Das ist ein guter Pool», bestätigte Kati. «Wenn du dich dran gewöhnt hast.»

Wenn wir uns in Europa kennengelernt hätten, hätten wir Litauen mit der Schweiz, die Schweiz mit Litauen verglichen und uns vor allem auf die Unterschiede zwischen unseren Ländern konzentriert. Hier aber fühlten wir uns als Europäerinnen verbunden und unserer Ähnlichkeiten sehr bewusst.

Die vier Bahnen waren schon recht voll. Kati instruierte mich, wie ich mich dem Strom der Schwimmenden einzufügen hatte und tauchte dann vor mir ein. Ich versuchte, mich ihrem Tempo anzupassen, doch immer wieder kam es am Ende der Bahn zum Stau.

Eine Schwimmerin hielt sich kurz am Poolrand fest, um zu verschnaufen. Die Bademeisterin der Stunde, eine breitschultrige, ältere Frau mit einem Badeanzug voller Abzeichen, ging am Beckenende in die Hocke und wechselte ein paar Worte mit der Schwimmerin. Vermutlich fragte sie sie, wo sie her sei, denn ich hörte die Schwimmerin «Manchester, England» sagen. Und schon richtete sich die Bademeisterin auf, breitete ihre Arme aus und schmetterte mit einer bühnenreifen Stimme den Song «Manchester, England, England» aus dem Musical «Hair». Die Schwimmenden hielten mitten in ihren Zügen inne und schauten auf. Und als meine Lieblingsstelle kam, sangen nicht wenige von ihnen mit: «I believe in God, and I believe that God believes in Claude, that's me, that's me!»

Die Bademeisterin deutete einen Knicks an und dann setzten wir uns alle wieder in Bewegung. Schön gestaffelt. Durch meine Schwimmbrille sah ich Haargummis auf dem Poolboden liegen und abgefallene Pappelblätter. Und ein paar Dinge, die ich nicht identifizieren konnte. Aber in mir drin sang es weiter: «That's me, that's me …»

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