Präsident des ETH-Rats Michael Hengartner erklärt
So können unsere Bauern Pestizide vermindern

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft. Diese Woche: Wie Hightech die Landwirtschaft gesünder macht.
Publiziert: 06.06.2020 um 15:31 Uhr
|
Aktualisiert: 15.08.2020 um 15:33 Uhr

Goethe war dreimal in der Schweiz. Zweimal besuchte er dabei den Katzenrütihof. Dort, in Rümlang, lebte ein Bauer, den alle nur Kleinjogg nannten. Der deutsche Dichter war vom Zürcher Bauern begeistert. Denn der findige Kopf hatte viele Ideen, um die Landwirtschaft zu verbessern. Statt sein Land immer wieder brach liegen zu lassen, baute er Klee an, mit dem sich mehr Kühe füttern liessen. Dadurch fiel mehr Mist an, mit dem Kleinjogg dann seine Felder düngte – und so die Erträge steigerte. Ausserdem setzte er auf wenig bekannte Pflanzen, wie die Kartoffel.

Kleinjoggs Ideen machten aus dem Katzenrütihof einen Musterbetrieb. Fürsten und Neugierige besuchten ihn, und bald folgten andere Bauern seinem Beispiel. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass Kleinjogg einen der Grundsteine für unseren heutigen Wohlstand gelegt hat.

Der Katzenrütihof von heute heisst zum Beispiel Swiss Future Farm oder ETH-Forschungsstation für Pflanzenwissenschaften. Auf diesen Forschungshöfen tüfteln Kleinjoggs Erben daran, die Landwirtschaft weiter voranzubringen. Und das ist dringend nötig, denn die Schweizer Bauern stehen vor grossen Herausforderungen. Sie sollen auf wenig Land möglichst viel produzieren – und das bitte ohne den übermässigen Einsatz giftiger Pestizide. Das geht nur mit guten Ideen!

Michael Hengartner (53) ist Präsident des ETH-Rats und Kolumnist im SonntagsBlick Magazin. Zuvor war der Biochemiker Rektor der Universität Zürich.
Foto: Nathalie Taiana

Forscherinnen und Forscher von Agroscope, ETH oder EPFL überwachen ihre Felder deshalb mit Drohnen. Diese sind mit modernsten Kameras bestückt, die genau aufzeichnen, wie es den Pflanzen geht und ob sie von Schädlingen oder Pilzen befallen sind. Falls ja, können die Bauern eingreifen. Und zwar nicht, indem sie das ganze Feld spritzen, sondern ganz präzise dort, wo es nötig ist. In der Westschweiz wiederum haben Forscherinnen und Forscher Sensoren entwickelt, die bei einzelnen Pflanzen messen, ob sie gesund oder gestresst sind. So weiss der Bauer, wenn die Pflanze mehr Dünger braucht. Und auch das Unkrautjäten könnte bald der Vergangenheit angehören. Gut möglich, dass in der näheren Zukunft autonome Roboter diese ungeliebte Arbeit übernehmen.

Ich weiss: Hightech und Landwirtschaft passen für viele von uns nicht zusammen. Aber welcher Bauer melkt seine Kühe noch von Hand? Und die Maschine analysiert die Milch auch gleich und überprüft, wie es den Tieren geht. Die technologieunterstützte Zukunft der Landwirtschaft hat also längst begonnen. Und als Bauern- und Innovationsland ist die Schweiz ganz vorne mit dabei.

An den Schweizer Hochschulen wird landwirtschaftliche Spitzenforschung betrieben, und wie zu Kleinjoggs Zeiten kommen Neugierige aus dem In- und Ausland, um zu erfahren, was bei uns läuft. So hilft Schweizer Know-how heute Bauern in Ländern wie Indien, Brasilien oder der Ukraine. Überall geht es darum, die Landwirtschaft effizienter und gleichzeitig nachhaltiger zu machen.

Ich bin überzeugt: Mit ihren starken Bauern und den innovativen Hochschulen hat die Schweiz genau, was es braucht, um in der Agrotechnik vorne dabei zu sein. Goethe jedenfalls hätte an unseren Bauern und Forscherinnen seine helle Freude gehabt.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?