Professor Hengartner erklärt
Einhörner züchten

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft. Diese Woche: Was es braucht, damit aus Start-ups milliardenschwere Konzerne werden.
Publiziert: 22.03.2021 um 11:16 Uhr
|
Aktualisiert: 01.04.2021 um 14:15 Uhr
Michael Hengartner

Ärgern kann man sich ja über alles Mögliche: den Chef, die Schwiegermutter, den verlegten Schlüssel oder den Laubbläser des Nachbarn. Am Arbeitsplatz ärgern sich viele von uns aber vor allem über eins: Computer, die nicht machen, was sie müssten. Die App stürzt immer wieder ab, das Buchhaltungsprogramm bockt, die Datenübertragung ist quälend langsam. Und die IT-Abteilung weiss leider viel zu oft nicht, woran es liegt – falls sie überhaupt davon erfährt.

Das will das Waadtländer Start-up Nexthink ändern. Nexthink ist ein Spin-off der EPFL, der Schwester-Uni der ETH Zürich. Angehörige der Hochschule in Lausanne haben eine Firma gegründet, die eine Art digitalen Fahrtenschreiber entwickelt hat, der bei den Angestellten einer Firma installiert werden kann. Dieser beliefert dann die IT-Abteilung in Echtzeit mit Nachrichten darüber, wo’s klemmt – damit die Informatikabteilung etwa merkt, wenn ihr neues Produkt gar nicht genutzt wird oder ein Programm immer wieder crasht. Ziel ist, dass die IT-Leute effizienter arbeiten können und alle anderen sich weniger Gedanken über die Programme machen müssen.

Vielleicht denken Sie jetzt gerade darüber nach, wie so etwas Ihre Arbeit vereinfachen würde. Auf jeden Fall aber sehen Sie das Potenzial. Damit sind Sie nicht allein: Kunden aus aller Welt klopfen bei der Firma an. So wurden am Genfersee bis jetzt über 300 Arbeitsplätze geschaffen. Weltweit beschäftigt das Unternehmen in der Zwischenzeit 700 Personen, und nach der neusten Finanzierungsrunde ist Nexthink bereits wieder auf der Suche nach 200 bis 300 weiteren neuen Mitarbeitenden. Obwohl Nexthink noch nicht an der Börse ist, wird sein Wert mit über einer Milliarde Dollar veranschlagt. Fachleute nennen solche Super-Start-ups «Einhörner». Und Nexthink ist bereits das dritte Einhorn, das aus dem ETH-Bereich hervorgaloppiert.

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats und Kolumnist im SonntagsBlick Magazin. Zuvor war der Biochemiker Rektor der Universität Zürich.
Foto: Nathalie Taiana

Dass Forscherinnen und Forscher des ETH-Bereichs neue Firmen aufbauen, geschieht immer häufiger: im letzten Jahr im Schnitt alle fünf bis sechs Tage. Sie leisten einen wichtigen Beitrag, wenn es darum geht, wissenschaftliche Ideen in die Praxis umzusetzen. Damit tragen sie wesentlich zur Innovationskraft der Schweiz bei und schaffen ein Umfeld, das auch für ausländische Firmen interessant ist. Es ist kein Zufall, dass Firmen wie Apple, Google, Intel, Walt Disney oder Texas Instruments sich ausgerechnet in der Schweiz angesiedelt haben.

In den letzten Jahren hat sich in der Schweiz bei der Start-up-Förderung viel getan. Hochschulen, Stiftungen und die Innosuisse – die Innovationsförderungsagentur des Bundes – unterstützen Interessierte mit Kursen, Mentoring und Kofinanzierung. Das Resultat ist eine lebendige und dynamische Start-up-Szene, die Anzahl neuer Firmen mit spannenden Geschäftsideen wächst.

Wo es aber hapert, ist bei der darauffolgenden Wachstumsphase. Die wenigsten Start-ups zeigen Wachstumskurven wie Nexthink. Viele Jungfirmen sind zwar relativ erfolgreich, aber etwas fehlt, um die Welt erobern zu können. Mangelt es an Ambition? An Risikobereitschaft? An Finanzierungsmöglichkeiten? Oder sind die Rahmenbedingungen in der Schweiz zu unattraktiv? Hier gibt es noch viel zu tun. Packen wir es an!

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?