Simon Jäggi «Wild im Herzen»
Taube macht Sachen

Manche Menschen verirren sich sogar mit Google Maps auf dem Smartphone. Einer Taube passiert das nicht, sie findet immer nach Hause. Wie macht sie das bloss?
Publiziert: 09.05.2019 um 23:13 Uhr
Simon Jäggi, Mitarbeiter Naturhistorisches Museum Bern.
Foto: Thomas Buchwalder
Simon Jäggi

«Truthahn wird Ehrenbürgermeister in Wisconsin», «Robbe haut Kajakfahrer mit Tintenfisch», «Tauber und halbblinder Hund beschützt Dreijährige». Kurzmeldungen aus der Kategorie «Tier macht Sachen» gehören zu meinem liebsten Medienfutter.

Kürzlich war es eine Taube, die für Schlagzeilen gesorgt hat – und für einen unvergesslichen Moment in der jüngeren Radsportgeschichte. Der Schweizer Rennvelofahrer Tom Bohli hat noch nie ein grösseres Rennen gewonnen. An der Tour de Romandie stand er letzte Woche ganz kurz davor, 71 Hundertstel fehlten auf den ersten Platz. Den Sieg gekostet hat ihn aller Wahrscheinlichkeit nach eine Taube, die ausgerechnet in einer Kurve im Weg stand. 

Home, sweet home

Dem Menschen auf die Nerven gehen, das können Tauben zweifelsohne. Es wäre aber etwas unfair, den verwilderten Zuchtvogel darauf zu reduzieren. Bewundern sollten wir die Tauben etwa für ihren Orientierungssinn – oder wie die Forschung es umständlicher formuliert: ihr Heimfindungsvermögen. Denn selbst im stocknüchternen Zustand sind wir nicht fähig, wozu Brieftauben imstande sind (manche Menschen nicht einmal dann, wenn sie ein Smartphone zur Hand haben): von einem unbekannten, weit entfernten Ort wieder nach Hause zu finden. 

Domestiziert wurden Felsentauben, die Urahnen unserer Haustaube, schon sehr früh, zuerst als Fleischlieferanten und Opfertiere. Bereits vor unserer Zeitrechnung entdeckten die alten Ägypter und Perser den Heimkehr-Instinkt und verwendeten erste Botentauben. Bis weit ins 20. Jahrhundert wurden Brieftauben zur Kommunikation eingesetzt.

So erhielt eine Brieftaube namens G.I. Joe eine Tapferkeitsmedaille im Zweiten Weltkrieg. Sie rettete im Jahr 1943 mehr als 1000 Menschenleben, weil sie die Alliierten davon abhielt, eine bereits befreite Stadt in Italien zu bombardieren. 

Intelligent? Na ja

Doch wie finden Tauben immer wieder nach Hause? Gänzlich geklärt ist diese Frage noch nicht. Es gibt folgende Erklärungsversuche: Sie nutzen das Magnetfeld der Erde zur Orientierung. Sie erinnern sich an visuelle Landmarken, etwa an Kirchtürme. Und sie nutzen ihren Geruchssinn. 

Sind Tauben deswegen intelligente Vögel? Na ja, Intelligenz ist relativ. Immerhin können sie zumindest eine Sache sehr gut. Und damit sind sie Sportlern vielleicht gar nicht so unähnlich.

Simon Jäggi (39) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. 

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