Was das Theater einzigartig macht
Bühne statt Bildschirm

Ins Kino, ans Konzert, in den Club – von allen Arten des Ausgehens ist der Theaterbesuch die anspruchsvollste. Hier spielt es eine Rolle, ob das Publikum lacht, grunzt oder dazwischenruft.
Publiziert: 24.10.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 23.10.2022 um 20:03 Uhr
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Ursula von ArxJournalistin und Buchautorin

In der Vergangenheit soll es vorgekommen sein, dass Menschen in Single-Wohnungen und Studentenheimen am Samstagabend lieber im Dunkeln hockten, als alle Welt wissen zu lassen, dass sie kein Rendez-vous hatten.

Spätestens seit Corona jedoch riskiert keiner mehr seinen Ruf, wenn er zugibt, alle Abende allein zu Hause zu verbringen, zusammen mit Plüschbär Sissi, Pizza, Pasta, Netflix. Die Gesichtsfarbe wechselt parallel zum Bildschirm. Solange der Bildschirm läuft, kann man sich selbst abschalten. Denn die Welt ist ein Bildschirm. Mit einem Rest von Bewusstsein nimmt man den Schnee wahr: Er rieselt vom Bildschirm ins Zimmer, minus zwei Grad auf Spitzbergen, aber sonnig in Miami, verkündet eine freundliche Stimme, sie hüllt einen ein wie eine warme Decke. So findet man seine Ruhe, es rieselt und rieselt, wie schön.

Das Theater braucht dich!

Reale Menschen scheinen von ihren realen Mitmenschen zunehmend angeödet zu sein. Gemeinsame Erlebnisse werden gemieden. Dementsprechend klagen die Kinos, Clubs, Konzertveranstalter: Hilfe, die Leute gehen nicht mehr aus! Darüber klagt auch das Theater, am meisten in den Schlagzeilen ist gerade das Theater.

Nur im Theater, hier das Zürcher Theater Pfauen, kann die zuschauende Person auch Schauspieler sein.
Foto: Keystone

Logisch. Denn das Theater ist am anspruchsvollsten. Es will den Zuschauenden wirklich. Es braucht ihn. Dem Film ist der Zuschauer, sobald er im Kino sitzt, egal. Auch während eines klassischen Konzerts ist man als Publikum geräuschmässig am besten inexistent. Im Club kann jede Person behaupten und sein, was und wer sie will, egal, es wird eh nicht verstanden. Bleibt das Theater.

Zuschauen und mitspielen

Von allen Ausgeh-Arten ist das Theater die einzige, wo wegsacken nicht Teil des Programms ist. Im Gegenteil. Ob die Zuschauenden lachen, grunzen, schnarchen, sich schnäuzen, ob sie dazwischenrufen oder nicht, ob sie die Schauspieler ausbuhen oder um sie buhlen – das Charakteristische am Theater ist die Möglichkeit zu stören. Und der Abend wäre schlagartig ein anderer.

Nur im Theater kann die zuschauende Person auch Schauspieler sein. Grossartig! Und grossartig auch, dass sie die Möglichkeit kaum nutzt. Aber sie könnte!

Warum geschieht es so selten? Vielleicht ist sie zu sehr mit dem Nachbarn beschäftigt. Der ist nämlich sehr interessant. Trägt hellrosa Locken. Alles wird gut.

Ursula von Arx hat ihren halbwüchsigen Kindern kürzlich einen Realitätsschock verpasst. Wie? Indem sie sie ins Theater führte, wo es Schauspielerinnen und Zuschauer zu sehen gab. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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