Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Frauen – als Schreibende geächtet, als Lesende beliebt

Rund 50 Prozent ist der Frauen-Anteil an der Weltbevölkerung, weit grösser bei der Leserschaft von Büchern, doch im Literaturbetrieb stagnieren sie bei 33 Prozent. Höchste Zeit, Schriftstellerinnen mehr Beachtung zu schenken.
Publiziert: 21.09.2021 um 09:13 Uhr
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

«Dranbleiben» war lange das Motto des «Tages-Anzeigers», doch 2019 kommt die Zeitung selber dran: Unter dem Hashtag #dichterdran gibt es einen Shitstorm nach einer Alt-Herren-Rezension des Romans einer jungen Schriftstellerin. Die Twitterinnen drehen den Spiess um und schreiben über Dichter so, wie der Kritiker über die Autorin: «Kein Wunder, dass die brillante Ingeborg Bachmann den weinerlichen Max Frisch auf Dauer nicht ertrug», heisst es da etwa. Oder: «Sie sehen blendend aus für ihr Alter, Chapeau! Verraten Sie uns Ihre drei Must-Have-Körperpflege-Produkte, Frank Schätzing?»

Diese witzige Anekdote beschreibt die Hamburger Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert (49) in ihrem eben erschienenen Buch «Frauen Literatur». Es ist nur ein aufgeführtes und erhellendes Beispiel dafür, wie Männer literarische Leistungen von Schriftstellerinnen über Jahrhunderte missachteten oder zumindest geringschätzten. So war der Grosskritiker Marcel Reich-Ranicki (1920–2013) allen Ernstes der Ansicht, dass Frauen nur Gedichte schreiben können – für Romane reiche ihre schöpferische Kraft nicht.

Aktuelle Romanautorinnen wie Eva Menasse (51), Silvia Tschui (47) und Juli Zeh (47) strafen ihn Lügen. Letztere ist seit Monaten auf Platz 1 der «Spiegel»-Bestsellerliste, findet also auch bei der Leserschaft riesigen Anklang. Und hierzulande sind mit Christine Brand (48), Petra Ivanov (54) und Silvia Götschi (63) gleich drei Schweizerinnen in den Top Ten. Doch Seifert warnt: «Trotz der Behauptung, Autorinnen seien auf dem Vormarsch, liegt der Anteil der Autoren in den Programmen literarischer Verlage noch immer bei rund zwei Drittel – genau wie ihr Anteil an den Besprechungen im Feuilleton.»

Die deutsche Bestsellerautorin Juli Zeh.
Foto: Miriam Kuenzli

Frauen durchgestrichen – so radikal präsentiert sich das Buchcover. Weshalb? Weil die langjährige Lektorin Seifert den Begriff «Frauenliteratur» für untauglich hält: Er diene bloss der Herabsetzung, es gebe schliesslich auch kein Pendant «Männerliteratur». Aber schreiben Frauen denn nicht anders? «Ästhetisch betrachtet ist das nicht der Fall, darüber herrscht in der Literaturwissenschaft längst Einigkeit», so Seifert. Anders verhalte es sich bei der Frage nach dem Inhalt weiblichen Schreibens, «eben weil Frauen unter gänzlich anderen Bedingungen lebten und noch immer leben als Männer».

«Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt», nennt Seifert ihr Buch im Untertitel. Denn entgegen der landläufigen Behauptung, es gebe in der Vergangenheit keine Autorinnen, finden ihre Werke im literarischen Kanon bloss keinen Platz. Seifert: «Die gute Nachricht lautet: Weil Bücher von Autorinnen aus der Literaturgeschichte ausgeschlossen wurden, gibt es in der Vergangenheit unglaublich viel zu entdecken.» In ihrem Blog «Nacht und Tag» beschäftigt sie sich deshalb seit Jahren nur noch mit Schriftstellerinnen – ohne gesundheitliche Auswirkung, wie sie augenzwinkernd anmerkt.

Nicole Seifert, «Frauen Literatur – abgewertet, vergessen, wiederentdeckt», Kiepenheuer & Witsch

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