Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Mao rottete Spatzen aus und verursachte Hungersnot

Ein Insekt verschwindet, bald darauf der Vogel, dem es als Nahrung diente: In «Der Weltuntergang» beschrieb Franz Hohler (81) bereits 1973 die Zusammenhänge, die dieses Buch wissenschaftlich und anschaulich darstellt.
Publiziert: 19.03.2024 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 16.03.2024 um 20:41 Uhr
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Es war ein Rotkehlchen und nicht die Lerche: Neulich bin ich frühmorgens, draussen war es noch stockdunkel, mit meinem Smartphone ans offene Fenster getreten und habe eine Shazam-App für Vogelstimmen gedrückt – «BirdNET» bestimmt Stimmen von Specht und Fink statt Songs von Hecht und Pink. In meinem Fall war es wie gesagt ein Rotkehlchen. Ich lauschte noch ein wenig dem Gesang und war gerührt, wie dieses handgrosse Kerlchen tapfer den Tag begrüsste.

«Der positive Einfluss von Vogelstimmen auf unser Wohlbefinden wurde bereits vielfach untersucht», schreibt die Deutsche Sarah Heuzeroth (35) in ihrem eben erschienenen ersten Buch. So habe 2022 eine Studie des Max-Planck-Instituts und des Hamburger Uniklinikums belegt, dass Vogelgesänge bei uns Ängste und irrationale Gedanken verringern. «Das könnte daran liegen, dass Vogelgezwitscher uns eine intakte natürliche Umgebung und die Abwesenheit akuter Bedrohungen suggeriert», so die Autorin.

Heuzeroth ist professionelle Illustratorin – und das kommt dem Buch enorm zugute: Anschaulich auf jeweils einer Doppelseite zeichnet sie in Wort und Bild die Wechselwirkung von Vögeln und Umwelt nach. Im ersten Teil geht es um den Einfluss der gefiederten Freunde auf andere Lebewesen, im zweiten Teil um die Wirkung veränderter Lebensräume auf Vögel. Heuzeroth zitiert dabei die deutsche Studie von 2017, die innert 27 Jahren einen Rückgang von 75 Prozent der Fluginsekten wegen landwirtschaftlicher Monokulturen feststellte.

Der positive Einfluss von Vogelstimmen auf Menschen: ein Rotkehlchen auf einer Statue in Düsseldorf (D).
Foto: IMAGO/Michael Gstettenbauer

Wo Insekten fehlen, fliegen bald keine Vögel mehr. Dadurch mangelt es an Kot, der zu Land die Felder düngt und zu Wasser das Wachstum von Plankton fördert, was wiederum den Fischen als Nahrung dient. Es fallen auch effektive Bestäuber von Blumen und Bäumen weg. Und nicht zuletzt vermissen dann andere Tiere eine Alarmanlage. «Wapiti-Hirsche hören zum Beispiel verstärkt auf Raben», schreibt Heuzeroth, «seit die Wölfe wieder in den Yellowstone-Nationalpark zurückgekehrt sind.»

Andererseits kann das Fehlen von Vögeln auch zu einer Insektenplage führen, wie Heuzeroth an einem Beispiel aus China von 1958 aufzeigt: Damals ordnete Mao (1893–1976) die Ausrottung der Spatzen an, weil sie das Getreide wegfrässen. «Den anschliessenden Sommer überfielen Scharen von Insekten das Land, und Heuschrecken zerstörten die Ernte», so Heuzeroth. «Es brach eine Hungersnot aus, an der 30 Millionen Menschen starben.» Denn die Spatzen hatten weit weniger Getreide als Insekten gefressen.

Man sieht: Die Welt ist in einem fragilen Gleichgewicht – fällt eine Seite weg, kann schnell alles kippen. Oder um es in Abwandlung des Buchtitels zu sagen: Die Welt ist nicht nur in einer Eierschale, sie ist selber eine, eine sehr zerbrechliche. Aber Heuzeroth macht Mut: «Solange der Himmel voller Vögel ist und die Luft voller Gesang, solange gibt es auch die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft für uns alle.»

Sarah Heuzeroth

«Die Welt in einer Eierschale – wie die Artenvielfalt uns rettet und warum wir Vögel brauchen», Eichborn.

«Die Welt in einer Eierschale – wie die Artenvielfalt uns rettet und warum wir Vögel brauchen», Eichborn.

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