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Warum singt Mani Matter in den Chansons häufig von Gewalt?

«Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine», sagte einmal der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918–2015). Mani Matter hat diesen Gedanken bereits in seinen juristischen Schriften theoretisch und anschaulich in seinen Liedern umgesetzt.
Publiziert: 24.11.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 24.11.2022 um 06:57 Uhr
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Das Meitschi ermordet, Ferdinand erschlagen, Bernhard Matter gehängt, und Dällebach Kari stürzt sich von der Brücke runter: In den Liedtexten von Mani Matter (1936–1972) gibt es etliche Tote. In Friedrich Glausers (1896–1938) Kriminalroman «Matto regiert» gibt es weit weniger Leichen als in den Chansons, die Matter dirigiert. Und selbst wenn es nicht immer um Leben und Tod geht, so orchestriert der Berner Troubadour doch häufig Schlägereien.

«Angesichts der Witzigkeit vieler von Mani Matters Texten und der Konzilianz seines Auftretens bricht in seinen Liedern erstaunlich oft Gewalt aus», stellt Nicolas von Passavant (39) in seinem kürzlich erschienenen Buch fest. Im Essay erörtert der Basler Germanist den Zusammenhang zwischen dieser poetischen Gewaltmotivik und den theoretischen Schriften von Mani Matter.

Von Beruf ist Matter Jurist und arbeitet als Rechtskonsulent für die Stadt Bern. In seiner Doktorarbeit klagt er gegen die rechtliche Benachteiligung der Gemeinden gegenüber den Kantonen. Und auch in seiner (nie eingereichten) Habilitationsschrift zur Erlangung der Professorenwürde schlägt er sich auf die Seite der Kleinen. «Matter argumentiert in sechs Kapiteln gegen die Verquickung von Souveränität, Recht und Staatsgewalt», schreibt von Passavant.

Poetisch und politisch: Der Berner Troubadour Mani Matter.
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Matters Vision: An die Stelle einer Gesellschaft, die durch staatliche Gewalt von oben gesichert ist, soll eine von allen gestaltete Gemeinschaft treten, die sich im Streitgespräch immer wieder von neuem entwirft. «Konsens zur Uneinigkeit» nennt er dieses Prinzip. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint etwa das Chanson «Yr Ysebahn», worin sich Passagiere wegen unterschiedlicher Sicht auf die Landschaft mit Schirmen aufs Dach geben, in neuem Licht: Die Auseinandersetzung muss sein.

1968 schreibt Matter an seiner Habilitationsschrift, im Jahr der Studentenunruhen. Für die Jungen und ihr «Anrennen gegen den Immobilismus» hat der bereits über 30-jährige Jurist Verständnis. Aber in sein Tagebuch schreibt er auch: «Revolution – und was dann? Man verweist auf Marx und glaubt sich weiterer Details enthoben. Aber gerade auf die Details kommt es an.» Umsturzfantasien hält er nur in Ländern ohne staatliche Struktur für legitim, nicht aber in Industriestaaten.

Folgerichtig schreibt von Passavant: «Im Unterschied zu vielen deutschen Liedermachern seiner Generation sucht man in seinen Liedern vergeblich nach politischen Parolen.» In einem Interview sagte Matter, dass ein Musiker nicht viel erreiche, wenn er sein Engagement mit dem Holzhammer zum Ausdruck bringe. Allerdings verstand er einige seiner Chansons durchaus «als Modelle für politische Sachverhalte» – für den «Konsens zur Uneinigkeit» eben.

Nicolas von Passavant, «Hemmungen und Dynamit – über das Politische bei Mani Matter», Zytglogge

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