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Wie drei Ausrufezeichen beinahe die Gründung der USA verhinderten

P!NK, Yahoo! oder JOOP! – überall schreien uns Ausrufezeichen entgegen. Auch wenn das emotionale Ausdrucksmittel schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel hat, es kann dem Emoji noch lange die Stirn bieten.
Publiziert: 30.01.2024 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 13.02.2024 um 17:25 Uhr
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Es gilt als Schreihals unter den Satzzeichen: das Ausrufezeichen. Und weil es die Worte davor verstärkt, bringen es viele mit Boulevardmedien in Verbindung – hinter Schlagzeilen einen langen Strich und einen Punkt darunter, damit jeder die Tragweite versteht. Allerdings kommt die erste Titelseite des Blicks vom 14. Oktober 1959 ohne Ausrufezeichen aus, obwohl die Artikel an Dramatik kaum zu überbieten waren: «Der Diener ist nicht der Mörder», «Algerien: Bomben und Verhandlungen» und «Lawinen-Drama».

Lange, bevor es Boulevardblätter gab, sorgten Ausrufezeichen auf der Zeitungsfront für Aufsehen. «Am 21. Januar 1788 hätte ein Trio !!! das Projekt der Vereinigten Staaten von Amerika fast zum Scheitern gebracht», schreibt die englische Literaturwissenschaftlerin Florence Hazrat in ihrem eben auf Deutsch erschienenen Buch. 1788 schrieb nämlich die «Boston Gazette»: «BESTECHUNG UND KORRUPTION!!!» und monierte, dass Verfassungsgegner mit Geld umgestimmt werden sollen – George Washington (1732–1799) musste retten.

«Das ! bedeutet erhöhte Aufmerksamkeit und Protest», schreibt die promovierte Hazrat, die eine der führenden Expertinnen auf dem Gebiet der Geschichte und Kultur der Zeichensetzung ist – 2021 kürte sie die BBC zum «New Generation Thinker». Das Ausrufezeichen sei aber auch eine Emotionsbekundung. «Auch wenn das Emoji dem ! seinen Rang als Gefühlszeichen abzuringen fähig ist», schreibt Hazrat, «so wird es das Ausrufezeichen doch wahrscheinlich nie von seinem Siegerpodest stossen.»

Es schreit nach Aufmerksamkeit: das Ausrufezeichen.
Foto: IMAGO/HEN-FOTO

Dabei gibt es das Ausrufezeichen noch gar nicht so lange: Die alten Griechen und Römer reihten ihre Worte aneinander und liessen dazwischen keinen Platz für Satzzeichen; und vom 5. bis 13. Jahrhundert hatte die fortschrittsfeindliche Kirche das Schreibmonopol. Hazrat: «Das Ausrufezeichen war der Geniestreich eines Mannes, der irgendwann in der Mitte des 14. Jahrhunderts von dem Wunsch gepackt wurde, ein völlig neues Zeichen zu schaffen.» Der Mann war der italienische Gelehrte und Dichter Jacobus Alpoleius de Urbisaglia.

Das erste deutschsprachige Ausrufezeichen erschien im 1572 gedruckten Pamphlet «Flöh Hatz, Weiber Tratz» des Dichters Johann Fischart (1545–1591), eine Art Anleitung über Zucht und Ordnung in der Ehe. Seither verwenden Schriftsteller das Satzzeichen ganz unterschiedlich oft – von einem Mal in «Der alte Mann und das Meer» (1952) von Ernest Hemingway (1899–1961) bis zu 2400 Mal in «Fegefeuer der Eitelkeiten» (1987) von Tom Wolfe (1930–2018).

«Unser Interpunktions-Repertoire hat sich seit fast 300 Jahren nicht verändert», schreibt Hazrat. «Es scheint, als seien wir ziemlich zufrieden mit den Zeichen, die wir bereits verwenden.» Und auch das Ausrufezeichen wird seine «jahrhundertealte Schizophrenie» (Linguistin Naomi Baron) weiterpflegen und zwischen grammatikalischer Unterstützung und Stimmenimitator hin- und herpendeln.

zVg
Florence Hazrat

«Das Ausrufezeichen – eine rebellische Geschichte», Harper Collins.

zVg

«Das Ausrufezeichen – eine rebellische Geschichte», Harper Collins.

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