Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Wie die Kirche Wissen unterdrückte

«Zur Dummheit braucht es mindestens zwei», schreibt der Germanist Peter von Matt. «Einen, der dumm ist, und einen, der es feststellt.» Für solche gescheiten Einsichten ist er beliebt. Nun liegt ein neues Buch von ihm vor.
Publiziert: 04.04.2023 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.04.2023 um 11:11 Uhr
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Er brachte uns in den 1980er-Jahren jeden Montag um das Mittagessen: Mit knurrenden Mägen sassen wir Studierenden in der voll besetzten Aula der Universität Zürich und lauschten den Vorlesungen von Germanistik-Professor Peter von Matt. Wenn er über Literatur sprach, waren das keine heissluftgeblähte Soufflés, die gleich wieder in sich zusammensackten, sondern kernige Aussagen mit Biss. Wortsatt und satzverliebt gingen wir danach in den Nachmittag.

«Die Liebe in jedem Sinne (…) ist die elementare Macht, der wir von der ersten bis zur letzten Stunde unseres Lebens so ausgesetzt sind wie sonst nur dem Hunger», schreibt von Matt (85) in seinem unlängst veröffentlichten Buch mit Festreden, Vorträgen und Nachworten von ihm aus den vergangenen gut 15 Jahren. Sie machen nicht halt an den deutschsprachigen Grenzen, greifen aus auf andere Gebiete – sprachlich und thematisch. Denn Peter von Matt ist eigentlich ein Universalgelehrter.

«Im Streit der Fakultäten» – der erste Text im Buch – belegt gleich den Überblick des Nidwaldners: Von Matt zeigt anhand von Immanuel Kant (1724–1804) auf, wie die mächtige Kirche früher an Universitäten dafür sorgte, dass Theologie neben Jurisprudenz und Medizin zu den drei oberen Fakultäten gehörte. «Die untere war die philosophische Fakultät», schreibt von Matt. «Diese letztere umschloss allerdings alles, was wir heute zu den Geistes- und Naturwissenschaften zählen.»

Universalgelehrter: der emeritierte Schweizer Germanistik-Professor Peter von Matt (85).
Foto: THOMAS LUETHI

«Habe nun, ach! Philosophie, / Juristerei und Medizin, / Und leider auch Theologie! Durchaus studiert mit heissem Bemühn», zitiert er danach die ersten Verse aus «Faust» (1808) von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) und weist darauf hin, dass «Faust provokativ die Hierarchie umkehrt und die untere Fakultät, die philosophische, zuerst nennt und die erste der oberen Fakultäten, die Theologie, zuletzt». Eine Umkehrung, die jetzt Tatsache ist.

Heute geht es meist um den Widerstreit zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. Schlagfertig wehrt sich von Matt gegen das Lächerlichmachen der Geisteswissenschaften durch die Politik. «In der in diesem Zusammenhang stets eingesetzten Metapher der ‹Orchideenfächer› steckt die Behauptung, dass es wissenschaftliche Disziplinen gebe, die reiner Luxus seien», so der Germanist. Der naheliegende Gegenbegriff der «Kartoffelfächer» werde allerdings nie verwendet.

Verbindendes statt Trennendes rückt von Matt stattdessen in den Fokus: «Es ist faszinierend zu beobachten, wie heute in ganz unterschiedlichen Wissenschaften die Kategorie des Erzählens eine neue Aktualität gewinnt», schreibt er. Tatsächlich: Die Beliebtheit von Podcasts oder erzählenden Sachbüchern spricht Bände. Letztlich sei Wissenschaft immer ein verstecktes Erzählen gewesen, so von Matt weiter: «Das wussten schon die Kirchenväter. Sie erschraken darüber und verurteilten (…) das Begehren nach neuem Wissen.»

zVg
Peter von Matt

Peter von Matt, «Übeltäter, trockne Schleicher, Lichtgestalten – die Möglichkeiten der Literatur», Hanser

zVg

Peter von Matt, «Übeltäter, trockne Schleicher, Lichtgestalten – die Möglichkeiten der Literatur», Hanser


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