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Wie im Kunstkrimi: Raub von Dieben oder Raub von Flammen

«Dass einer übrig geblieben ist, der das Bild malen kann, und einer, der es sehen kann, zeigt, dass nicht alles verloren war», fasst der Philosoph Ernst Bloch (1885–1977) die Kunst von Caspar David Friedrich zusammen.
Publiziert: 26.12.2023 um 09:35 Uhr
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Es war wie vorgezogene Weihnachten: Diesen Herbst zeigte das Kunstmuseum Winterthur die erste grosse Werk-Ausstellung von Caspar David Friedrich (1774–1840) in der Schweiz. Dabei waren die beiden bedeutendsten Ölgemälde des deutschen Romantikers in einem Raum zu sehen: «Wanderer über dem Nebelmeer» (um 1817) aus der Hamburger Kunsthalle und «Kreidefelsen auf Rügen» (1818) aus der Winterthurer Sammlung Reinhart. Im Rahmen des 250. Geburtstags des Künstlers touren die Werke 2024 durch Deutschland.

Es war wie nachgereichte Weihnachten: Friedrich heiratet am 21. Januar 1818 Caroline Bommer (1793–1847) «– und zwar um Schlag sechs Uhr morgens», wie der deutsche Kunsthistoriker und Journalist Florian Illies (52, «Generation Golf») in seinem aktuellen Bestseller über den Maler schreibt. «Es ist also noch stockdunkel draussen, nur ein paar Kerzen erleuchten die Gesichter des Brautpaares in der Dresdner Kreuzkirche.» Eine romantische Stimmung wie vor dem Christbaum.

Später im Jahr reist das Paar an die Ostsee. «Es ist der 11. August 1818, sie haben gerade ihre Flitterwochen auf Rügen verbracht», schreibt Illies, «er, der 44-jährige Maler aus Greifswald, und sie, die 25-jährige Dresdnerin.» Dort auf der Insel holt er sich auch die Inspiration für sein nächstes Ölgemälde. «Der ‹Kreidefelsen auf Rügen› ist heute Friedrichs vielleicht berühmtestes Bild», so Illies weiter über das heute in Winterthur beheimatete Friedrich-Werk. «Und doch ist es vor allem ein grosses Rätsel.»

Seit 15. Dezember in Hamburg: der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor dem «Kreidefelsen auf Rügen».
Foto: keystone-sda.ch

Wer sind die zwei Männer und die eine Frau am Klippenrand? Ist der «Kreidefelsen» eine Erinnerung an die Flitterwochen für seine Frau «Line», wie manche Kunsthistoriker vermuten? «Wenn das Bild etwas zu tun haben sollte mit der Hochzeitsreise und seinem Bruder Christian, dann hätte doch sicherlich der Familiensegen schief gehangen», wendet Illies ein – denn Christians Frau Elisabeth war auch dabei, Caspar David hätte sie aber nicht gemalt. «Herrliche Rätsel.»

Herrlich rätselhaft wie ein Krimi liest sich auch Illies' Buch, denn Friedrichs Bilder haben ein wechselvolles Nachleben: 1996 in Potsdam (D) sind sie gezieltes Raubgut von Dieben, 1994 in Frankfurt (D) zufälliges, weil ein Friedrich «daneben hängt und noch Platz in ihrer grossen Tasche ist». Unglücklicherweise werden neun Friedrich-Gemälde 1931 beim Brand des Münchner Glaspalasts ein Raub der Flammen, und 1943 verbrennen beim Bombenangriff auf Leipzig (D) ein Ölgemälde und zahlreiche, wertvolle Zeichnungen. 

Getreu dem Untertitel «Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten» nimmt uns Kunstkenner Illies episodenhaft auf eine Zeitreise. Gekonnt zeichnet er Friedrichs Leben nach und lässt danach Friedrichs Zeichnungen ein Eigenleben führen, in dem es zu Begegnungen mit berühmten Personen aus der Weltgeschichte kommt – die romantischen Bilder, die einen «Zauber der Stille» ausstrahlen, haben ein langes und bewegtes Leben.

Florian Illies

«Zauber der Stille – Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten», S. Fischer.

«Zauber der Stille – Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten», S. Fischer.

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