Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Kostenlose Selbsttests als Mogelpackung

Wann soll der Gratis-Selbsttest angewendet werden? Hersteller Roche sagt: Bei einem Verdacht auf Covid-19. Der Bund sagt das Gegenteil: Bei einem Verdacht auf eine Infektion soll der Test nicht eingesetzt werden. Ein gefährlicher Widerspruch.
Publiziert: 11.04.2021 um 00:59 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2021 um 09:49 Uhr

Seit Mittwoch dürfen Herr und Frau Schweizer auf Bundeskosten monatlich fünf Schnellselbsttests des Pharmakonzerns Roche beziehen. Leider nur handelt es sich bei diesem Staatsgeschenk um eine Mogelpackung mit Risiken und Nebenwirkungen.

Auf dem Beipackzettel des Roche-Tests ist zu lesen: «Dieser Test dient zum Nachweis von Antigenen des Sars-CoV-2-Virus bei Personen mit Verdacht auf Covid-19.» Das Bundesamt für Gesundheit jedoch schreibt auf seiner Website: «Wir empfehlen Ihnen, den Selbsttest nicht zu verwenden, wenn Sie Symptome des Coronavirus haben oder wenn Sie Kontakt zu einer positiv getesteten Person hatten.»

Ja, was gilt denn nun? Soll der Test angewendet werden, wenn es einen Verdacht auf Covid-19 gibt (Angabe von Roche)? Oder soll er bei einem Verdacht eben nicht zum Einsatz kommen (Angabe des Bundes)?

Auf diesen Widerspruch gibt es eine so einfache wie ernüchternde Antwort: Die Schnellselbsttests sind ein politisches Placebo. Gesundheitsminister Alain Berset bringt sie in Umlauf, um Handlungsfähigkeit zu
demonstrieren.

Roche hat den Schnellselbsttests bei Patienten ausprobiert, die wegen Covid in klinischer Behandlung waren. Nicht einmal bei diesen offensichtlich Erkrankten wurde das Virus immer gefunden. Erst recht gilt dies für Infizierte ohne Symptome. Die Schweizerische Gesellschaft für Mikrobiologie hat sich Tests, die einen Abstrich aus dem vorderen Nasenbereich analysieren, genauer angeschaut. Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus bei symptomfreien Infizierten entdeckt wird, liegt zwischen 23 und 41 Prozent. Da kann man gleich eine Münze werfen.

Einen beschränkten Nutzen haben könnten die Schnellselbsttests höchstens als Ergänzung zu den regelmässigen Massentests in Schulen und Betrieben. Die dort verwendeten Spucktests werden im Labor untersucht und liefern dementsprechend zuverlässige Resultate. Allerdings ist der logistische Aufwand enorm – das ist auch der Grund, warum es mit der Einführung von Massentests manchenorts weiter harzt. Die Schnellselbsttests dagegen erscheinen da vielen als praktische Alternative, Privatpersonen ebenso wie
Politikern und Firmenchefs. Rasch ein Test und ab ins Büro, zur Sitzung ins schlecht gelüftete Besprechungszimmer oder zum unbeschwerten Nachtessen mit Freunden ...

Bloss: Wenn wir uns tatsächlich auf die Schnellselbsttesterei verlassen, laufen wir Gefahr, dass Virenträger guten Gewissens in der Welt herumlaufen und andere anstecken. Das wäre dann das Gegenteil von Pandemiebekämpfung.

Sars-CoV-2 ist heimtückisch. Wer ihm Paroli bieten will, begeht unweigerlich Fehler. Dem Virus aber zusätzlich in die Hände zu spielen, nur um in der Öffentlichkeit kurzfristig gut dazustehen, ist unverzeihlich. Wir können alle bloss hoffen, dass Bundesrat Bersets PR-Coup mit den kostenlosen Schnellselbsttests keinen grossen Schaden anrichtet.

Wirklich nützlich ist der ganze Hype in jedem Fall einzig für Roche und seine Aktionäre.

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