Schöne neue Arbeitswelt
Wenn nur noch Psychopharmaka helfen können

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Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung untersuchte den Schweizer Arbeitsmarkt im Hinblick auf psychische Erkrankungen und stellte fest: Es braucht dringend Reformen, um ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen.
Publiziert: 05.10.2019 um 23:21 Uhr
Cyrill Pinto, Reporter.
Foto: Shane Wilkinson
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Cyrill Pinto

Der Mann arbeitet bei einem Tech-Giganten aus dem Silicon Valley. Für seinen Job wird er beneidet: hoher Lohn, viele Zusatzvergütungen, permanent auf Reisen. Heute Dublin, morgen New York, übermorgen San Francisco. Doch der Job hat eine Kehrseite, über die der junge Zürcher nicht gern spricht: Er hält die hohe Belastung nur mit Psychopharmaka aus – würde er sie absetzen, wäre ein seelischer Zusammenbruch unvermeidbar.

Grund für den schlechten Gesundheitszustand des Marketing-Managers: die hohe Arbeitsbelastung, das unablässige Messen und Bewerten seiner Leistung, die ständige Erreichbarkeit ... Aber man braucht nicht für eine kalifornische Tech-Firma tätig zu sein, um sich in einem ungesunden Arbeitsumfeld wiederzufinden.

Seelische Erkrankungen und der Konsum von Psychopharmaka nehmen in der Schweiz deshalb zu. Bereits jeder fünfte Helsana-Versicherte nimmt mindestens einmal pro Jahr ein solches Medikament zu sich.

Erst kürzlich untersuchte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung den Schweizer Arbeitsmarkt im Hinblick auf psychische Erkrankungen. Die OECD stellte fest: Der Anteil von diesbezüglichen IV-Neurenten ist hierzulande sehr hoch. Sie empfiehlt deshalb, Reformen in die Wege zu leiten, damit Betroffene genesen können, bevor sie in der IV landen. Dazu gehört – vor jeder Therapie – ein gesundes Arbeitsumfeld.

Psychiater bestätigen die ungesunde Entwicklung: Der Wandel zur Dienstleistungs­gesellschaft bei gleichzei­tiger Aufweichung des Arbeitnehmerschutzes führt zu einer sprunghaften Zunahme seelischer Erkrankungen. Fachleute fordern daher, dass nicht nur die Symptome einer Depression bekämpft werden, sondern auch der Arbeitnehmerschutz zu verbessern ist.

Sonst droht uns eine Welt, wie sie der englische Autor Aldous Huxley 1932 in seinem Klassiker «Schöne neue Welt» beschrieb: In diesem Zukunftsroman funktioniert die Gesellschaft nur noch mit Hilfe eines glücklich machenden Medikaments. Die Hauptfigur sieht dennoch nur den einen Ausweg – und bringt sich um.

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