Tamy Glausers Krebsaussage
Den Rollenwechsel verpasst

Der Fall von Tamy Glausers Äusserung über Verganerblut zeigt: Politiker sollten sich darauf beschränken, was sie können.
Publiziert: 26.05.2019 um 00:09 Uhr
|
Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:04 Uhr
Reza Rafi, stv. Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Anja Wurm
1/8
Bildschirmfoto 2024-04-02 um 08.40.24.png
Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Tamy Glauser hat der Schweiz Unterricht in Soziologie erteilt. Denn spätestens seit letzter Woche sollte jedem klar sein, was es mit der Rollentheorie auf sich hat. Bis dahin war das 34-jährige Model in erster Linie als Aktivistin und Hälfte des Duos Tamynique 
bekannt. Sie und ihre Partnerin 
Dominique Rinderknecht (29) 
konnten die Öffentlichkeit mit allerlei Intimitäten versorgen.

Einzige Folge waren mehr oder weniger unterhaltsame Schlagzeilen im Tagesrhythmus. «Das Mens-Bauchweh ist wie weg!» – «Männlich und weiblich verschwimmt!» – «Wir wollen Kinder!» – «Richtig krass 
vegan leben!» – «Cannabis-Dealerin war für mich der beste Job.»

Doch am Dienstagabend wurde Glauser von den Zürcher Grünen als Nationalratskandidatin nominiert. Seither wird sie nicht mehr als Aktivistin oder Model oder Partygirl wahrgenommen, sondern als Politikerin. Bloss hat sie ihren Rollenwechsel dummerweise zu spät 
bemerkt. Weshalb ihr jetzt eine 
Äusserung in Social Media gehörig um die Ohren fliegt.

Für ihre Aussage, wonach Veganerblut Krebs heilen könne, hat sich Glauser mittlerweile entschuldigt. Doch der Schaden ist angerichtet: Sie hat den Auftakt zu ihrer politischen Karriere vermasselt. Und man fragt sich als Wähler, wie und ob eine grosse grüne Kantonalpartei ihre Anwärterinnen überhaupt checkt, ehe sie auf eine Wahlliste gesetzt werden.

Missverständnisse über die eigene Rolle gibt es auch bei erfahrenen Politikern. Der Zürcher SVP-Vizepräsident Toni Bortoluzzi (72) hielt sich wohl für einen ausgewiesenen Neurologen, als er Schwulen einen verkehrten Hirn­lappen unterstellte. Und womöglich wähnte er sich in der Rolle des 
Erziehungswissenschaftlers, als er 
Kita-Kindern einen tieferen IQ nachsagte. Der Genfer FDP-Staatsrat 
Pierre Maudet dachte vielleicht, 
er sei Geschäftsmann und nicht Staatsdiener, als er sich mitsamt Familie nach Abu Dhabi einladen liess.

Glausers Fauxpas könnte darum als Lehrstück dienen: Narrenfreiheit ist Diktatoren und Clowns 
vorbehalten. Politiker in 
Demokratien sollten sich auf Themen und Aktivi­täten beschränken, von denen sie etwas verstehen.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?