Pierin Vincenz und seine Spesen
Männerbündnisse

Pierin Vincenz hat sich privat in Striptease-Lokalen in der ganzen Schweiz vergnügt. Bezahlt hat die Raiffeisenbank. Ist er ein Spesenritter? Oder ist alles ganz anders? Ein Kommentar.
Publiziert: 08.11.2020 um 14:08 Uhr
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Aktualisiert: 27.11.2020 um 10:03 Uhr
Aline Wüst

Eine Viertelmillion soll Pierin Vincenz im Milieu ausgegeben haben. Allein im Striplokal Kings Club in Zürich 91'000 Franken. Das ist nicht verboten. Prostitution ist legal in der Schweiz. Stossend ist, dass er Champagner und Frauen auf Spesen nahm. Ein privates Vergnügen, bezahlt von der Raiffeisen – das geht nicht.

Doch die Episode aus der 350-seitigen Anklageschrift ist nicht zwingend die Geschichte von einem, der Spesen prellte. Vielleicht zeigt es schlicht, wie mächtige Männer geschäften. Und die Kosten des Stripteaseclubs sind tatsächlich das, was der ehemalige CEO von Raiffeisen verbucht hat: Spesen. Ausgaben im Dienst.

Nehmen wir das Wursträdli. Die Eltern kaufen Fleisch beim Metzger. Das Kind bekommt ein Rädchen Wurst. Die Eltern haben Freude. Der Metzger auch. Man sieht sich darum wieder. Kleine Investition, grosse Wirkung. Beim begüterten Geschäftsmann/CEO/Politiker taugt ein Wursträdli kaum zum Beziehungsaufbau. Es wird darum ersetzt durch allerlei andere Aufmerksamkeiten. Pralinen zum Geburtstag beispielsweise. Je höher der Status, desto exklusiver muss das Gebotene sein, um die Beziehung hinzubekommen – damit das Geld fliesst. Irgendwann ist der CEO selbst das Wursträdli: Er lädt seine wohlhabenden und einflussreichen Geschäftspartner zum Essen ein und danach gehts noch in ein Etablissement. Da gibt es Champagner und Frauen. Und die Welt ist noch immer, wie damals, als es in jedem Dorf drei Metzgereien gab: Männer unter sich, Alkohol, die Frauen widersprechen nicht. Vielleicht passiert dann auch das eine oder andere, was besser niemand sonst wissen sollte. Der perfekte Kitt, um zu Geschäften und fernab vom Sitzungszimmer Beziehungen zu vertiefen.



So funktionieren Männerbündnisse. Denn Frauen sind bei solchen Geschäftstreffen ausgeschlossen. Macht und Einfluss bleiben damit unter Geschlechtsgenossen. Ein Grund, weshalb es für Frauen noch immer schwierig ist, in Kaderpositionen zu kommen. Auch bei Banken.

Doch es zeigt noch mehr: Viele mächtige Männer brauchen Prostituierte. Als Ambiente zum Feiern, um den beruflichen Druck auszuhalten und insbesondere sehr erfolgreiche Männer, indem sie die eigene Erniedrigung suchen. Eine ehemalige Prostituierte sagt dazu: «Es ist krank. Aber sich demütigen zu lassen, ist wohl eine Art Beichte für diese Männer, die Geld wie Heu haben.»

Macht ist also abhängig von käuflichem Sex. Paradox ist: Frauen, die Sex verkaufen, sind gesellschaftlich am Rand. Männer, die Sex kaufen, angesehene Bürger.

Benefizveranstaltung 2015 im Hallenstadion. Auch Pierin Vincenz ist da. Es geht um ein Projekt in Südostasien. Der Initiator erklärt, damit Bildungsstrukturen aufzubauen, weil sonst viele der Mädchen in der Prostitution landen würden. Es kam ordentlich Geld zusammen. Ob Vincenz weiss, dass die Frauen mit denen er sich in Zürich, St. Gallen und Luzern amüsierte, oft im Sexgewerbe arbeiten, weil sie an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben keine andere Option hatten?

Aline Wüst, Magazin-Redaktorin.
Foto: Sabine Wunderlin
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