BlickPunkt über den Rücktritt des SVP-Bundesrats
Maurer hat geschafft, was Blocher misslang

Die Wahl des Zürchers in die Landesregierung 2008 war halb Zufall, halb Betriebsunfall. Doch in 14 Jahren als Bundesrat hat Ueli Maurer immer wieder alle überrascht – und manchen wird er noch fehlen.
Publiziert: 30.09.2022 um 20:53 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2022 um 23:00 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Ueli Maurer (71) war der erfolgreichste Schweizer Parteipräsident der neueren Geschichte. Zwischen 1996 und 2008 machte er aus der kleinen, bäuerlichen SVP die stärkste Kraft im Land.

Hätte damals jemand prophezeit, Maurer würde eines Tages Bundesrat – er wäre für verrückt erklärt worden!

Der SVP-Präsident stellte seine Gegner gnadenlos-zynisch in den Senkel, zog über Heimatmüde, Sozialschmarotzer, Scheininvalide, Weichsinnige sowie Linke und Nette her. Die geschmacklosen Propaganda-Motive von Ausländern als schwarze Schafe und Halsaufschlitzer entstanden in Maurers Amtszeit.

Zugleich lachte die Schweiz über Ueli, den Knecht, unter Christoph, dem Herrn: Blocher war der grosse Stratege, Maurer nur der Fusssoldat. Eine SRF-Satiresendung verhöhnte ihn Woche für Woche dafür.

2003 kam Christoph Blocher (81) in den Bundesrat, vier Jahre später wählte ihn das Parlament wieder ab: Er war schlicht unfähig, sich in die Kollegialbehörde einzufügen. So wurde Maurer für die SVP zum zweiten Versuch. Im Dezember 2008 wurde er mit einer einzigen Stimme Vorsprung in die Landesregierung gewählt.

Die Kommentatoren vom «Tages-Anzeiger» über den SonntagsBlick bis zur «NZZ» waren sich einig: «Maurer – ein Bundesrat auf Bewährung.» Bei den nächsten Wahlen würde er wie Blocher auf die Strasse gesetzt werden.

Seitdem sind 14 Jahre ins Land gegangen. Maurer glückte, was Blocher misslang: Er wechselte wie auf Knopfdruck vom Modus des Parteichefs in den des Bundesrats – von einem Tag auf den anderen zeigte er sich plötzlich zurückhaltend.

Und trotzdem blieb er sich auf bemerkenswerte Weise treu. Auch, indem er sich immer wieder vollendet unmagistral zeigte. Selbst seine Rücktrittsrede spiegelte diesen Widerspruch: Er beklagte die Spaltung des Landes und beschimpfte im gleichen Atemzug die Medien als links und langweilig. Erst im Frühsommer fiel er seiner Nachfolgerin im VBS Viola Amherd (60) wegen des Armeebudgets in den Rücken. Und auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie zog er ein Hemd über, das ihn als Impfskeptiker kenntlich machte.

Das politische System der Schweiz funktioniert so gut, weil alle Lebensrealitäten in den Bundesrat einfliessen. Maurer ist Nichtakademiker, rechtskonservativ, Bauernsohn, ein Mann vom Land. Und vertritt damit einen nicht unwesentlichen Teil der Bevölkerung.

Ausserdem ist er bodenständig und bescheiden geblieben. Noch immer übernachtet er mal gern allein irgendwo im Wald. In höchsten Ämtern gelingt das nur wenigen: sich nicht furchtbar wichtig vorzukommen.

An der Urne musste Maurer schmerzhafte Niederlagen einstecken. Die Bundesfinanzen jedoch verteidigte er gegen Begehrlichkeiten von links wie rechts. Die Wirtschaft schätzt ihn als verlässlichen Streiter für den Standort Schweiz. Wie er gemeinsam mit den Banken ein Corona-Rettungsprogramm für bedrohte Unternehmen aus dem Boden stampfte, brachte ihm weltweit Anerkennung ein.

Maurer behauptete stets, er wolle bis zum Ende der Legislatur 2023 im Amt bleiben. Nun hat er mit seinem Rücktritt einmal mehr alle überrascht. Dass die SVP seinen Sitz behält, steht ausser Zweifel. Dass ungeachtet seines Nachfolgers, seiner Nachfolgerin viele wehmütig an ihn zurückdenken werden, ebenfalls.

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