Blickpunkt
Weltpolitik aus dem Bauch

Man mag applaudieren, dass sich endlich jemand dem syrischen Machthaber Assad entgegenstellt. Doch der Militärschlag von US-Präsident Trump berge zu hohe Risiken, schreibt Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe.
Publiziert: 08.04.2017 um 09:55 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 05:51 Uhr
Christian Dorer

In welcher militärischen Notlage wäre der Einsatz von Giftgas zu rechtfertigen?

In keiner.

Von den zahllosen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im syrischen Bürgerkrieg war der Angriff von Dienstag besonders perfide. Erst explodierten Bomben mit dem tödlichen Nervengift Sarin, dann flog eine Rakete in den Eingang des Spitals, in dem versucht wurde, die Verletzten zu retten. Alle Indizien deuten darauf hin, dass Syriens Diktator Bashar al-Assad diese Untaten befohlen hat. Der Kern seiner Entscheidung: Wer Widerstand leistet, wird vernichtet. 87 Menschen starben, darunter viele Kinder. Die Fotos der hustenden, um ihr Leben ringenden Kinder schockierten die Welt.

Sie erschütterten auch den mächtigsten Mann der Welt, Donald Trump: «Babys wurden mit Gas getötet!» Diese Bilder hätten seine Meinung über den Konflikt im Nahen Osten verändert.

Der US-Präsident handelte rasch: Gestern liess er 59 Marschflugkörper auf einen Militärflugplatz von Assad abfeuern. Ohne Uno-Mandat. Ohne Zustimmung des Kongresses. Ohne vorherige Androhung. Völkerrechtlich bewegt sich Trump auf dünnem Eis.

Immerhin hat der Oberbefehlshaber der US-Armee mit dem Angriff der Marschflugkörper dafür gesorgt, dass Chemiewaffeneinsätze endlich wieder als Verbrechen gegen internationales Recht behandelt werden. Endlich zahlt Assad die Strafe für seine barbarischen Taten, endlich weiss er nun, wie hoch der Preis wäre, weitere zu begehen. Trump hat ein klares Zeichen an alle Schurken dieser Welt gesandt: Wenn ihr die rote Linie überschreitet, dann krachts.

Und das ist richtig so.

Dennoch gibt das Handeln des US-Präsidenten zu denken.

Erstens: Es ist irritierend, wie rasch Trump seine Meinung ändert. Bis Dienstag plädierte er immer nur für bessere Beziehungen zu Russland. Schon 2013 fand er, Assad solle doch tun, was er wolle, schliesslich hätten die USA keine vitalen Interessen im syrischen Bürgerkrieg. Nun aber ist plötzlich alles anders, obwohl Assad so handelte wie stets. Auch Giftgas setzt er bereits seit Jahren ein. Aber an einem US-Präsidenten, der in Krisen mal so, mal so reagiert, kann die Welt kein Interesse haben.

Zweitens: Der Angriff könnte sich zu einem globalen Flächenbrand ausweiten. Wie reagiert Trump, wenn Assad erneut Giftgas einsetzt – mit weiteren Angriffen? Und wie wird Russland dann reagieren? Steht Washington plötzlich mit Moskau im Krieg? Die Geschichte lehrt, dass weltpolitische Katastrophen selten von Strategen ausgelöst werden, sondern durch dumme Zufälle.

Drittens: Wenn sich die USA einmischen, geht es meistens schief. Saddam Hussein war ein übler Diktator. George W. Bush liess ihn entfernen – und alles wurde noch viel schlimmer. Den Menschen im Irak geht es heute schlechter denn je, erst im Vakuum nach dem Krieg konnte der IS entstehen. Ein ähnliches Desaster bewirkten die USA und ihre Alliierten in Libyen: Ohne Gaddafi geht es den Menschen schlechter als mit Gaddafi. Wenn Diktatoren weggebombt werden, blüht selten eine Demokratie auf.

Ein Sprichwort besagt: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Für Militärschläge gilt dies in verschärftem Masse. Besonders wenn sie aus dem Bauch heraus erfolgen – und ohne Mandat der internationalen Gemeinschaft.

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